Neustadt Am Rande der Bande:

Heinz Weigert ist ein waschechter Bayer. Der 54-Jährige lebt seit rund neun Jahren in Neustadt. Die Sehnsucht nach Schnee, Eis, Frost und einem knackigen Winter unter blauem Himmel hat er sich auch in der Pfalz bewahrt. Sein Heimweh hat er vor drei Jahren erstmals stillen können, als er mit Freunden Gelegenheit zum Eisstockschießen auf einer gefrorenen Wiesenfläche bei Haßloch gefunden hatte. Daher sammelte er fleißig die rund drei bis fünf Kilogramm schweren Eisstöcke, die er über das Internet gesucht und erworben hat. Heute besitzt er zehn dieser Holzklötze mit Griff. Schnell nahm sich Weigert das Telefon, als klar wurde, dass vor Bahnhof und Saalbau eine Eisbahn aufgebaut wird. Er reservierte das Eis für die nächsten Sonntage vor dem offiziellen Beginn der Eislaufzeiten. So treffen sich sonntags zwölf Freunde, um in zwei Mannschaften aufgeteilt einen zweistündigen Wettkampf auszuführen. Wer nach mehreren Runden als Gesamtverlierer dasteht, gibt dem anderen Team Glühwein aus. Doch bevor es zum Glühwein kommt, betätigt man sich tüchtig sportlich. Die zwei Teams sind nur an ihren Stöcken zu unterscheiden. Es gibt die „Nackische“, das sind die Eisstöcke ohne Fahne. Die anderen Eisstöcke tragen ein kleines schwarzes Filzband um den Griff, das sind die „Fahnen“. Die Regeln sind einfach. Gespielt wird von „Feld zu Feld“. Das Feld ist normalerweise rund drei auf sechs Meter groß, in Neustadt beträgt es rund zwei auf zwei Meter. Dazwischen liegen rund 20 Meter Eisfläche. In der Mitte des Felds liegt ein Holzwürfel, Daube genannt, Punkte gibt es nur für diejenige Mannschaft, die der Daube am nächsten kommt. Es kann passieren, dass ein Team in einem Durchgang mehrere Punkte sammelt, wenn mehrere ihrer Eisstöcke am nächsten zur Daube liegen. Der Unterschied zur olympischen Sportart Curling ist gewaltig. So gibt es keine Wischer, die die Bahn mit ihren Besen schneller machen. Und es gibt keine Ansprüche an die Eisqualität. Zudem sind die Eisstöcke aus Holz und damit wesentlich leichter als die Curlingsteine aus Granit. Beim Eisstockschießen wechselt die Reihenfolge der Sportler – je nachdem, wer näher an der Daube liegt. Beim Curling ist die Reihenfolge festgelegt. Dass beim Eisstockschießen ebenso Geschicklichkeit, Konzentration und Kraft gefragt sind, erklärt Hermann Arend. „Eigentlich hat mich das nie wirklich interessiert, bis ich es jetzt ausprobiert habe“, sagt der Neustadter. „Es ist interessant, wie sich die Geschwindigkeit des Eisstocks mit zunehmender Spieldauer erhöht, wenn das Holz kälter wird.“ Man müsse viel Gefühl aufbringen und seine Kraft entsprechend dosieren. „Frauen sind bei diesem Sport eher selten zu sehen. Früher waren in Bayern immer nur Männer dabei“, weiß Organisator Weigert. Das hört sich etwas diskriminierend an. Aber, sind wir ehrlich, das wundert uns auch heute nicht, dass die Bayern in dieser Hinsicht noch etwas altmodisch sind. Vielleicht liegt es jedoch auch nur daran, dass der Eisstock, so leicht er aussehen mag, wenn er über das Eis flutscht, nur mit einer gewissen Manneskraft nach vorne befördert werden kann. Schwung und Technik scheinen da nicht auszureichen, wie ein kleiner Selbstversuch zeigt. Der Eisstock überwindet nur zwei Drittel der notwendigen Distanz. Patrick Forlani, Betreiber der Eisfläche, beruhigt: „Wenn andere Gruppen die Bahn buchen, dann wird quer gespielt, damit der normale Eislaufbetrieb noch weitergehen kann. Dann ist die Bahn kürzer.“ Das Eisstockschießen werde sehr gut angenommen. Die Männergruppe auf dem Eis hat während der gesamten Zeit sichtlich gute Laune, auch wenn sie bislang noch keinen Glühwein konsumiert hat. Schließlich gibt es für die Männer nichts Schöneres, als einen Rivalen von seiner guten Position auf dem Eis zu verdrängen. Einem geglückten Versuch gilt neidlose Anerkennung der Sportkameraden. Welch ein schöner, friedlicher Sport. Nur die Bande an der Eisbahn muss manch kleinen Schlag einstecken, wenn der Eisstock mit Wucht dagegen donnert. (kle)

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