Neustadt Zwischen Liebe und Aufbruch

«Neustadt.» Ein Konzert, das mehr als nur Musik bot, ging am Samstag ganz im Sinne des ausrichtenden Kulturvereins „Wespennest“ im „Konfetti“ über die Bühne. Zu Gast war das Quartett „Die Grenzgänger“, das sein Programm „Die wilden Lieder des jungen Marx“ präsentierte.

Dabei wurde nicht das politische Wirken von Karl Marx, der in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden wäre, in den Vordergrund gestellt. „Die Grenzgänger“ versuchten, sich auf ebenso unterhaltsame wie informative Art und Weise dem privaten Leben des jungen Philosophen und Ideologiebegründers zu nähern. Herausgekommen ist dabei ein kleiner Einblick in das Innere eines Mannes, der einerseits von den Ereignissen der damaligen Zeit geprägt wurde, andererseits aber auch nur ein junger Bursche war, der voller Gefühle steckte und sich nach seiner späteren Frau Jenny von Westphalen verzehrte. Marx, der sich im Alter von 18 Jahren mit ihr verlobte, war von ihr hingerissen, dass er ihr zahllose Briefen schrieb, ihr aber auch viele Gedichte widmete. Aus diesen Zeilen machten die „Grenzgänger“ Lieder, die sie in Neustadt vorstellten. Die Band besteht bereits seit 30 Jahren. Gegründet wurde sie vom Bremer Sänger und Gitarristen Michael Zachcial, der noch als einziges Ur-Mitglied dabei ist. Seit 2009 zählen außerdem der Berliner Akkordeon-Spieler Felix Kroll und die Dortmunder Cellistin Annette Rettich zum Ensemble. Gitarrist Frederic Drobnjak, wie Zachcial aus Bremen, vervollständigt die Besetzung. Die vier Künstler haben ihre Lehrjahre als Straßenmusiker, im klassischen oder im Rockbereich hinter sich gebracht und ihre Erfahrungen als „Grenzgänger“ gebündelt, wodurch sich auch ihr Bandname erklärt. Zachcial: „Wir bringen zusammen, was nicht zusammengehört“. Obwohl die wilden Lieder von Karl Marx sicher keine leichte Kost darstellen, vermieden es die „Grenzgänger“ im „Konfetti“, oberlehrerhaft aufzutreten. Behutsam führten sie ihre Zuhörer an das Thema heran, zunächst mit einem Lied von Rio Reisers Band „Ton Steine Scherben“: „Schritt für Schritt ins Paradies“. Dann folgte „In Kerkermauern sitzen wir“, das 1937 von Nathan Hirschfeld alias Hans „Johnny“ Hüttner geschrieben worden ist, der zu der Zeit als politischer Gefangener inhaftiert war. Gitarrist Frederic Drobnjak stellte bei dem vom Swing geprägten Song eindrucksvoll unter Beweis, dass sein Spiel von Gypsyjazz-Legende Django Reinhardt inspiriert ist. Danach ging es nur noch um Karl Marx und dessen Gedichte. Die meisten von ihnen hatte Zachcial im Stile von Folksongs vertont, aber auch Felix Kroll hatte bei einigen von ihnen seine Songschreiberqualitäten gezeigt. „Jenny, Jenny, Jenny“ hieß das erste Stück, das eine reine Liebeserklärung an Marx’ Auserwählte darstellt und keinerlei kritische Untertöne aufweist. Anders sieht es da schon bei „In seinem Sessel“ aus. Hier wird deutlich, dass es auch in dem jungen Karl schon sehr viel „Marx“ zu entdecken gab. Unter anderem heißt es da: „In seinem Sessel, behaglich dumm,/ sitzt schweigend das deutsche Publikum. Braust der Sturm herüber, hinüber,/wölkt sich der Himmel düster und trüber,/zwischen die Blitze schlängelnd hin/Das rührt es nicht in seinem Sinn“. „Vorwurf“ dagegen ist eine schöne, textlich harmlose Liebesballade, der Annette Rettich mit ihrem Cello viel Gefühl einhauchte. Zu einem musikalischen Höhepunkt wurde der „Spielmann“: Worte von Marx („Muss spielen dunkel, muss spielen licht, bis ’s Herz durch Sait’ und Bogen bricht“), begleitet von einem zeitgemäßen Boogie-Rhythmus und gewürzt mit einem Gitarrensolo von Drobnjak. Das Experiment, „Die wilden Lieder“, Marx’ erste Publikation überhaupt, in Noten zu verpacken, ist gelungen. Viele der Probleme, die Marx da angesprochen hat, sind noch heute aktuell. Dagegen helfen leider auch die schönsten Liebesbezeugungen nichts, die er in ruhigen Stunden zu Papier gebracht hat.

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