Ludwigshafen Zärtliche Robustheit
Alle Facetten seines Schaffens möchte Erwin Ditzner in seiner Konzertreihe im Wilhelm-Hack-Museum vorstellen. Da der umtriebige Ludwigshafener Schlagzeuger extrem vielseitig in der Musikszene unterwegs ist, bedeutet das reichlich Abwechslung in seinem Club. Diesmal war die Pianistin Aki Takase zu Gast mit einem Abend ohne weitere Vorgaben, der dann aber doch keine ungebremste Freiheit brachte.
Mitten im Museum durfte das Publikum diesmal Platz nehmen. Im linken Bereich des großen Ausstellungsraums im Erdgeschoss saß man auf Stühlen und Stufen rund um Piano und Schlagzeug gruppiert, dicht dran am musikalischen Geschehen und mit freiem Blick auf die Architektur und die Kunst des Hauses. Da trafen dann die für Offenheit sorgenden, aber doch recht betonschweren Wände und Träger auf die filigrane Zeichenkunst der aktuellen Ausstellung „Autofiktionen“. In gewisser Weise prägt ein solcher Gegensatz auch das Klavierspiel von Ditzners Gast. Vom prätentiösen Outfit in leuchtendem Grün darf man sich hier nicht täuschen lassen. Aki Takase stürzt sich mit weit ausgebreiteten Armen und robuster Entschlossenheit auf die Tastatur des Bösendorfers, Klavierspiel ist bei ihr ein Kraftakt, wenn auch ein liebevoll-zärtlicher. Sie soll eine Vorliebe für etwas schwergängige Flügel haben, die ihr mehr Widerstand bieten. Takase benötigt diese Kraft, die bis in die Spitze der kleinen Finger reicht, die sie entschlossen auf die außen liegenden Tasten donnert. Der kraftvolle Zugriff schafft einen musikalischen Raum, in dem sich dann eine filigrane Struktur ausbreiten kann. Mit ihrer eigenwilligen Phrasierung treibt die 70-Jährige das Geschehen stetig voran, kein gleichmäßiges Fließen, sondern ein ruckendes, immer wieder von Zäsuren zerteiltes Vorwärtsschreiten. Entschlossene Akkordreihungen und aggressive Cluster wechseln sich ab mit präzise gesetzten Singlenotes. Immer wieder gibt es Bezüge zu Klassik und Jazzgeschichte, Ragtime darf da genauso aufblitzen wie Schumann-Träumereien. Obwohl spontan improvisiert wird, bleibt hier alles jederzeit unter Kontrolle. Aki Takase hatte eine klassische Klavierausbildung hinter sich, als sie mit 21 erstmals in einem Club in Tokio Jazz hörte. Das Erlebnis muss einschneidend gewesen sein, sie stürzte sich regelrecht in diese Musik. Zwei Jahre danach hatte sie ihren ersten Auftritt als Jazzmusikerin, weitere zwei Jahre später ein eigenes Trio. Ende der 1970er-Jahre ging sie in die USA, aber richtig in Schwung kam ihre Karriere dann in Europa, nach einem Auftritt bei den Berliner Jazztagen 1981. In Deutschland lernte sie dann auch ihren Ehemann kennen, den Free-Jazz-Pianisten Alexander von Schlippenbach. Die beiden bilden nicht nur seit 30 Jahren ein wunderbares Pianoduo, sondern gehören zu den wichtigsten Neuerern des zeitgenössischen Jazz in Europa. Während Schlippenbach langjährige Ensembles wie das Globe Unity Orchestra oder sein Trio unterhält, sind es bei Takase wechselnde Projekte mit unterschiedlichen Musikern. Mit Erwin Ditzner hatte die in Berlin lebende Japanerin erstmals 2017 beim Festival Enjoy Jazz zusammengespielt, damals im Quartett und ohne weitere Absprachen. „Wir haben keinen Plan“ verkündete Takase auch diesmal fröhlich, aber so ganz unvorbereitet hatten sich die beiden dann doch nicht auf ihr Improvisationsabenteuer eingelassen. Immer wieder griff die Pianistin auf eigene Kompositionen zurück, etwa „Cherry“, das sie mit dem Saxophonisten David Murray eingespielt hat. Aber natürlich sind das nur thematische Orientierungen, inspirierende Zitate, aus denen etwas Neues entsteht. So geschah es auch mit dem Filmsong „Do you know what it means to miss New Orleans“, den Billie Holiday und Louis Armstrong 1947 bekannt gemacht hatten. Bei Takase und Ditzner wurde daraus swingendes Stridepiano mit einem zunehmend schräg holpernden Rhythmus. Auch Ditzner steuerte ein eigenes, auf der exotischen Schlitztrommel gespieltes Stück bei, aber den dominierenden Part hatte ganz klar die Pianistin. Die Kommunikation der beiden spielte sich in der Detailarbeit ab, wenn Ditzner die Klangfarben seines Perkussionsarsenals veränderte, unauffällig die rhythmischen Akzente verschob oder das Geschehen mit einem überraschenden Beat plötzlich in eine andere Richtung lenkte. Trotz gelegentlicher Heftigkeiten wurde es ein überraschend kammermusikalischer Abend, bei dem zwei Musiker alle Freiheiten hatten und doch ganz diszipliniert und rücksichtsvoll mit Musik und Partner umgingen.