Ludwigshafen „Wie im tiefsten Russland“

Das Pfingstweide-Center ist zwar in die Jahre gekommen, bietet mit dem angeschlossenen Netto-Markt und einer Bäckerei aber immer
Das Pfingstweide-Center ist zwar in die Jahre gekommen, bietet mit dem angeschlossenen Netto-Markt und einer Bäckerei aber immer noch die nötige Grundversorgung. Anfang Dezember ist bei einem Starkregen jede Menge Wasser durchs Dach gekommen – vor allem rund um die eingelassenen Lichtkuppeln.

«Pfingstweide.» Andächtiges Staunen. Das dürften wohl die meisten Menschen empfinden, wenn sie einen Blick auf das Foto werfen, das Anfang Dezember im Pfingstweide-Center gemacht wurde. Da reiht sich Eimer an Eimer, weil das Dach den Wassermassen bei einem Starkregen nicht standhalten konnte. Als „Bild des Grauens“ bezeichnet Anne Schneider das. „Nicht nur, dass den Besuchern zugemutet wird, Slalom zu laufen, nein, man muss auch höllisch aufpassen, auf den nassen Fliesen nicht auszurutschen.“ Die Geschäftsleute hätten die Waren in Sicherheit bringen müssen und „wir hier kommen uns vor wie im tiefsten Russland ...“ Der Frust sitzt tief. Nicht nur bei Schneider, die mit ihrer Familie seit 1976 im nördlichsten Stadtteil Ludwigshafens lebt, sondern auch bei anderen Anwohnern. Gleich nach dem Vorfall schrieb die Pfingstweidlerin Sandra Wolf Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD) an und bat darum, dass die Stadt Druck auf den vermeintlichen Betreiber des Einkaufszentrums (EKZ) ausübt, da es „den Mietern bisher nicht gelungen ist, ihn zur Sanierung des maroden Dachs zu bringen“. Das Schreiben schließt mit den Worten: „Ein ganzer Stadtteil ist komplett traurig über den Zustand.“ So viel zum Empfinden der Bürger. Eine rasche Antwort kam von der Pfingstweider Stadträtin Gabriele Albrecht (SPD), die darauf hinwies, dass die Stadt keinen Einfluss auf die Treuhandgesellschaft habe, die das Center verwalte und dass es sicher hilfreicher wäre, die Ladeninhaber würden Druck ausüben. Die sind aber gar nicht so unzufrieden, sondern geben bei einer stichprobenartigen Nachfrage zu Protokoll, dass beim Dauerregen im Dezember zum ersten Mal so viel Wasser durch das Dach gedrungen sei. Ortschef Udo Scheuermann (SPD) bestätigt, dass ihm von den Verkäufern aus dem EKZ schon länger keine Beschwerden mehr zu Ohren kamen. „Manche Bürger sind unzufrieden mit der Situation, das Zentrum ist eben in die Jahre gekommen und das sieht man“, räumt er ein. Die Grundversorgung sei aber gewährleistet und durch Geschäfte wie Rewe in Edigheim gebe es weitere Einkaufsmöglichkeiten in Reichweite. Was das Angebot und Ambiente in den Geschäften im EKZ angehe, hätten es Inhaber und Mieter selbst in der Hand, für Attraktivität zu sorgen, sagt Scheuermann: „Darüber bestimmen allein sie.“ Das gilt in der Pfingstweide sogar mehr als in anderen Ludwigshafener Einkaufszentren, denn hier gibt es entgegen aller Gerüchte keinen „Betreiber“. Die Mannheimer Treubau Verwaltung stellt zwar einen Verwalter, der handelt jedoch im Auftrag anderer, denn das EKZ ist als sogenannte WEG-Gemeinschaft organisiert – also als Gemeinschaft von Wohnungseigentümern, die für die Instandhaltung ihrer Läden jeweils allein und für die von Außenanlagen wie Fassaden und Dach gemeinschaftlich zuständig sind. „Sämtliche Ladengeschäfte in der Immobilie sind verkauft“, erklärt der Verwalter Kurt Rückert. Manche befinden sich im Eigentum der jeweiligen Ladenbesitzer selbst, andere in der von Investoren, die sie an Geschäftsführer weiter vermietet haben. Das WEG-Gesetz sieht vor, dass die Eigentümer ihre Räumlichkeiten selbst in Schuss halten. Wenn es in einem Geschäft Probleme gibt, sind sie also Ansprechpartner für die Mieter. Die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums hingegen wird von allen Eigentümern anteilig finanziert und sie alle entscheiden, welche Reparatur oder Sanierung wann vorgenommen wird. Für den Verwalter bedeutet das, dass er in Ernstfällen wie dem Regenguss im Dezember zwar Notaufträge vergeben kann, um schlimmste Schäden abzuwenden. Sobald repariert oder saniert werden soll, geht aber nichts ohne die Eigentümer. Was das Dach des EKZ betrifft, sind die ersten Schritte bereits unternommen: Es waren Dachdecker vor Ort, die sich die Situation angesehen haben, erste Angebote für eine Sanierung liegen vor. Wenn alles glatt läuft, muss Anne Schneider bei Regenwetter also bald nicht mehr „mit Schnorchel, Taucherbrille und Flossen“ ins EKZ, wie sie im Scherz anmerkt. Für sie sitzt das Problem aber ohnehin tiefer. Die Pfingstweide bezeichnet sie als einen „vergessenen Stadtteil“. Seit der Aktion „Unsere Pfingstweide soll attraktiver werden“ vor gut 20 Jahren kümmere sich die Stadt nicht mehr um das Quartier, wodurch es immer weniger wohnlich werde – die Fachgeschäfte hätten das EKZ verlassen, es gebe immer weniger junge Familien und dafür mehr Dreck und Ratten, so ihr Eindruck. Dem tritt Stadträtin Gabriele Albrecht entgegen. Dass die Fachbetriebe das Center verlassen haben, liegt ihrer Meinung nach in erster Linie an der mangelnden Nachfrage. „Die Pfingstweide ist einer der wenigen Stadtteile ohne Durchgangsverkehr“, sagt sie. Auf der einen Seite sorge das dafür, dass Geschäftsinhaber sich lieber anderswo einmieten, auf der anderen sei es jedoch von Vorteil. „Das Quartier ist ruhig, aber dennoch gut angeschlossen“, findet sie – sowohl nach Frankenthal als auch nach Lu. Die Bürger wüssten das zu schätzen und würden daher bleiben. Das bestätigt auch Scheuermann. Von den rund 6000 Pfingstweidlern seien viele schon seit den 70ern da und auch nicht weggezogen als die Hochhäuser vor einiger Zeit abgerissen wurden. Andere seien im Alter zurückgekehrt, weil es sie heim zog. „Von einem Stadtteil für Familien ist die Pfingstweide zu einem Stadtteil für Senioren geworden“, stellt er fest. Grund dafür sei unter anderem, dass es neben Einfamilienhäusern viel seniorengerechten Wohnraum der GAG und von BASF Wohnen und Bauen gibt. Allerdings ziehe der Norden Ludwigshafens zuletzt auch wieder vermehrt Familien an, die in die Neubauten im Zentrum und ältere leerstehende Einfamilienhäuser einziehen. Zwar gebe es in der Grundschule statt der 900 Schüler 1970 heute nur noch 300, doch wie Albrecht bestätigt, wird es dieses Jahr zum ersten Mal wieder vier statt nur drei erste Klassen geben und auch im Kindergärten bestehe Bedarf an zusätzlichen Plätzen. Letztlich scheint die Pfingstweide also doch nicht so abgehängt, wie es manchen Einwohnern vorkommt. Und vergessen wird sie sicher nicht, solange es Bürgerinnen wie Schneider und Wolf gibt, die an ihrer Heimat hängen und sich engagieren, wenn sie Missstände sehen.

x