Ludwigshafen Vergessene russische Avantgarde

Sie war Octavian im „Rosenkavalier“, Orlofsky in der „Fledermaus“ oder die böse Amme in Schumanns „Genoveva“. Nach drei Jahren verlässt der russische Mezzosopran Maria Markina am Ende dieser Spielzeit die Mannheimer Oper. Mit einem von Robin Philipps am Klavier begleiteten Liederabend im Werkhaus verabschiedete sich die 38-Jährige von ihrem Publikum.

Der Titel „Lieder der Revolution“ bei diesem Konzert der Reihe „Musiksalon“ war allerdings eine Mogelpackung. Statt der angekündigten Gesänge der Arbeiterbewegung gab es in den Jahren kurz vor und nach der russischen Revolution komponierte Hochkunst vom Feinsten. Kann man sich Darius Milhaud als Revolutionär vorstellen? Eigentlich nicht. Die zwölf Liedminiaturen der „Soirées de Pétrograde“ von 1919 sind an Sarkasmus kaum zu überbieten. Im ersten Teil werden musikalische Porträts von Charakteren des Ancien Régime gepinselt, im zweiten geht es um die russische Revolution und ganz bestimmte Personen. Im ersten, der „Großmutter der Revolution“ gewidmeten Lied ist dies Katharina Breschko-Breschkowska, deren Verbannung nach Sibirien als „Ferienaufenthalt“ lächerlich gemacht wird. „Der Gast“ und „Die Limousine“ ironisieren den Mord an und die Beseitigung von Rasputin im Kofferraum eines Rolls-Royce . Mit „Colonel Romanoff“ ist Zar Nikolaus II. gemeint und wie der als bleicher Schatten durch Zarskoje Selo wankt. Bei der Pariser Uraufführung sollen die russischen Emigranten richtig böse geworden sein. Davon erfahren haben die Konzertbesucher leider nichts. Mag ja sein, dass Milhaud-Spezialisten im Publikum saßen, wahrscheinlicher war die Anwesenheit von mehr oder weniger Unwissenden, denen eine Handreichung sicher geholfen hätte. Womit die einzige Schwachstelle dieses Abends, nämlich die fehlende Information zu einem wenig bis gar nicht bekannten Repertoire, angesprochen wäre. Zumal gerade bei den in den 1920er-Jahren zur absoluten Avantgarde zählenden russischen Komponisten, die hier zu Unrecht kaum einer kennt und deren Schicksal als mit Berufsverbot und Verbannung gestrafte „Volksfeinde“ bis heute fassungslos macht. Alexander Mossolow von dem drei liebenswürdig um kindliche Katastrophen kreisende Lieder zu hören waren? Gebrochen aus dem Straflager zurückgekehrt und erst nach seinem Tod 1973 rehabilitiert. Der 1944 gestorbene Nikolai Roslawez, dessen melancholisches „Leises Wiegenlied“ das Programm beendete? Bis heute mit den Mann und sein Werk aus der Geschichte tilgen wollender Vernichtungswut verfolgt. Aber wie schön hat Maria Markina sich durch das Programm gesungen. Konzentriert, bemerkenswert natürlich in der Diktion, mit tadelloser Stimmkontrolle und feinem „Händchen“ für die wechselnden Haltungen und Stimmungen, die nur ausnahmsweise wirklich mit irgendwelchen politischen Befindlichkeiten und Überzeugungen zu tun hatten, die Auszüge aus der Klavierfassung von Hanns Eislers stramm linksgewickelter Kantate „Die Mutter“ ausgenommen. Da hörte man, von Robin Philipps und Philippe Adam an zwei Flügeln die traurige Geschichte der Arbeiterfrau Pelagea Wlassowa begleitend, präzise aus den Tasten gestochen in der Tat den Marschtritt der auch bei Brecht/Eisler am Ende in die Zukunft vertagten Revolution. Tolles Konzert am Ende. Mit bemerkenswerten Liedern auch von Erik Satie, Charles Ives, Igor Strawinsky, Sergei Protopopow (nur elf bekannte Werke) und Sergei Prokofjew, dessen um den Tagesablauf einer kleinen Lisa kreisendes, im Wortsinn plappernd vorzutragendes „Plappermaul“ durch den großen Peter Schreier (der auch die deutsche Textfassung besorgte) populär gemacht wurde.

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