Ludwigshafen Schuberts Sonaten

Auf die öffentliche Probe von Schuberts Klaviertrio in B-Dur unter Alfred Brendels Leitung und die Aufführung durch Kit Armstrong in der ersten BASF-Matinee der Saison folgte noch am selben Tag Brendels Vortrag über Schuberts drei letzte Klaviersonaten. Im Ludwigshafener Gesellschaftshaus gab Brendel in Wort und Ton Einblick in Schuberts Musik und deren heutige Rezeption.

Es war ein Programm für Fortgeschrittene, höchst substanzreich, geistvoll, dem Anspruch eines Künstlers angemessen, der gern als musi-zierender Intellektueller, als „Klavier-Philosoph“ oder „Tastendenker“ bezeichnet wurde. Das Faszinierendste bei Brendels Klavierspiel, der sich vor sechs Jahren vom Konzertpodium verabschiedet hat, war der Dualismus von scharfem Intellekt und intensivem Gefühl. „Ich würde mutmaßen“, so der in London lebende Pianist, „dass Musik von der Emotion herkommt und zur Emotion zurückführt, dass aber dazwischen ein großer und wichtiger intellektueller Bereich sich auftut.“ Und noch persönlicher: „Für mich ist der Intellekt eine kontrollierende Instanz, aber nicht der Ausgangspunkt. Der ist in den Emotionen.“ Brendels Repertoire reichte von Bach bis zur zweiten Wiener Schule. Er setzte Maßstäbe mit seinen Beethoven- und Mozart-Aufnahmen, zeigte blendende Virtuosität bei Liszt und setzte Schönbergs Klavierkonzert im Konzertbetrieb durch. Zu Schubert hatte er indes eine ganz besondere Affinität, war nach Ansicht des Kritikers Joachim Kaiser „der erste Schubert-Spieler unserer Zeit“. Seine Liebe zu Schuberts Musik prägte auch Brendels Ludwigshafener Vortrag. Er wurde begleitet durch kurze Beispiele auf dem Klavier und die Einspielung des zweiten Satzes der A-Dur-Sonate und des Finales der B-Dur-Sonate, beide in Brendels eigener Aufnahme, die er meist mit geschlossenen Augen und Klavierspiel-Bewegungen der Hände anhörte. Schuberts Instrumentalmusik aus seinen letzten Lebensjahren, sagte er, sei lange ignoriert worden und zitierte dabei genüsslich abwertende Aussagen prominenter Musiker. Man habe sie zu lang gefunden, und erst Bruckners und Mahlers Kompositionen hätten Ohren und Gehirne für diese Tonlandschaften geöffnet. Die Entdeckung von Schuberts Klaviermusik und speziell der letzten drei Sonaten, die Brendel als Einheit sieht, sei erst in den 1920er Jahren durch Arthur Schnabel und Eduard Erdmann erfolgt. Fatale Missverständnisse hätten Rudolf Hans Bartschs Roman „Schwammerl“ und das danach entstandene „Dreimäderlhaus“ verursacht, die Schubert zur Operettenfigur degradierten. Außerdem sei Schubert kein musikalischer Dichter und auch nicht konstant depressiv gewesen. Musik aus der Biografie begreifen zu wollen, hält Brendel für einen Denkfehler: „Dass Schubert kurz vor seinem Tode noch imstande war, den jubelnden Schluss der B-Dur-Sonate zu komponieren, darüber sollen wir uns freuen. Mit dem zynischen Schicksal, das im eine nur knapp 32-jährige Lebensspanne vergönnte, können wir uns nicht versöhnen.“

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