Ludwigshafen Schräge Klänge zum Abschied

Anfang April zieht Hans-Karsten Raecke, der Komponist, Pianist, Erfinder von neuen Musikinstrumenten und Betreiber der Mannheimer Klangwerkstatt , um nach Rheinsberg bei Berlin. Aus Mannheim verabschiedete er sich mit einer Konzertreihe unter dem flapsig-ironischen Motto Raecke haut ab . Eine Woche lang präsentierte er in seinem Atelier in der Neckarstadt noch einmal seine interessantesten Projekte der vergangenen Jahre.

1991 gründete Hans-Karsten Raecke in Mannheim seine Klangwerkstatt . Der Name stand für das Atelier in seiner Wohnung, wo er an seinen neuartigen Instrumenten baute und ebenso für die Klangwerkstatt-Musiktage , bei denen er jeden Herbst in mehreren Konzerten seine Musik, aber auch die von anderen Komponisten vom Mittelalter bis in die neueste Gegenwart vorstellte.

Seine erste Klangwerkstatt hatte Raecke bereits 1974 in Ost-Berlin gegründet, wo der gebürtige Rostocker Komposition studiert und als Dozent an der Humboldt-Universität gelehrt hatte. Damals schon begann er sich von dem traditionellen Komponieren abzuwenden und neue musikalische Wege zu beschreiten mit dem Bau selbst entworfener Blasinstrumente aus diversen Haushaltsmaterialien, mit Klangerweiterung des Flügels, aber auch mit Free Jazz. Das führte zu Konflikten mit der DDR-Kulturpolitik, und er musste 1980 in die Bundesrepublik ausreisen, wo er sich schließlich in Mannheim niederließ.

Nun zieht es ihn wieder zurück nach Berlin. In Mannheim habe er viele Freunde gefunden, betont er, aber mittlerweile beklagt er eine ständig schwindende Akzeptanz und Unterstützung durch die lokale und regionale Kulturpolitik. In Berlin, so Raecke, fühle er sich mehr zu Hause, künstlerisch und auch emotional. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der bislang in Heidelberg tätigen Kabarettistin Jane Zahn, hat er sich vor den Toren der Hauptstadt im idyllischen Rheinsberg das Gebäude einer ehemaligen Schnapsbrennerei gekauft. Dieses werden die beiden nun zu einer neuen Klangbrennerei ausbauen.

In seiner Abschiedswoche war Raecke noch einmal in seiner ganzen Vielseitigkeit zu erleben. Den Auftakt bildete eine Aufführung seines wohl größten Werks, seine zweieinhalbstündige, geradezu kabarettistisch geprägte Gesamtvertonung von Heinrich Heines berühmtem Gedichtzyklus Deutschland, ein Wintermärchen . Raecke ist hier in Personalunion als Komponist, Pianist, Sänger, Rezitator und Darsteller zu erleben.

In weiteren Konzerten war er mit seinen Eigenbau-Instrumenten zu hören. Dem Bild-Klang-Generator etwa, jene in 128 Sektoren eingeteilte Messingscheibe, von denen jeder mit einem Sampler verbunden ist, von dem die Klänge auf den einzelnen Feldern mittels Kontaktstäben abgerufen werden können und auf dem Raecke die berühmte Himmelscheibe von Nebra vertonte. Oder ein anderes elektronisches Instrument, die skurril aussehende Blas-Metall-Dosenharfe, die fantastisch-kosmische Töne erzeugen kann, erschreckend laute, aber auch ganz zarte.

Natürlich spielte er auch auf seinen besonderen Blasinstrumenten, etwa dem aus drei DDR-Waschbeckensyphons bestehenden Gummiphon oder dem aus Staubsaugerrohr und Taschenlampenblende zusammengesetzten Ventil-Zug-Metalluphon, auf dem Raecke in dem Stück Das Mecklenburger Pferd - Kaltblüter über eines seiner minimalistischen Raster-Stücke free-jazz-artige Klänge erzeugte. Nicht zu vergessen sein klangerweiterter Flügel, den Raecke noch in der DDR mit Schrauben, Bolzen und Gummiteilen präpariert hatte, zu Zeiten, als der damit berühmt gewordene John Cage in Amerika auch gerade erst damit anfing.

An fast allen Abenden waren auch andere Komponisten zu hören. So spielte Raecke gemeinsam mit dem eher der Spätromantik verpflichteten Komponisten und Pianisten Martin Münch, gab mit dem Tenor Ingo Wackenhut ein Konzert mit Liedern von Hanns Eisler und von Raecke im Eislerschen Geiste komponierten Werken. Mit Jane Zahn gestaltete er einen musikalischen Kabarettabend und ließ zum Abschluss traditionelle Volkslieder auf Neue Musik treffen.

Hans-Karsten Raecke wird Mannheim nicht ganz verloren gehen: Schon im Herbst will er für eine neue Auflage seiner Klangwerkstatt-Musiktage in den Kunstverein zurückkehren.

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