Ludwigshafen Mütterlicher Griff in die Geschenke-Mottenkiste

In vier Monaten, genau gesagt ab dem 14. Juni, bekommt das Leben wieder einen ganz besonderen Rhythmus. Dann dreht sich vier Wochen lang wieder alles um jenes Runde, das ins weiße Eckige muss. Sie ahnen es. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland rückt näher, und damit beginnt für alle Hobby-Bundestrainer und Taktik-Schlauberger wieder die Zeit, in der sie sich bei nicht ganz so ballaffinen Familienmitgliedern und Freunden rechtfertigen müssen, warum man unbedingt Marokko gegen den Iran sehen muss oder Panama gegen Tunesien statt mal wieder die lieben Verwandten zu besuchen oder fröhlich beim Klassentreffen aufzuschlagen. Wie sehr so ein Weltturnier ins Leben eingreift, habe ich an Weihnachten erlebt. Zweiter Weihnachtsfeiertag: traditioneller Besuch mit meiner Familie bei meinen Eltern. Freudestrahlend überreicht mir meine Mutter einen Fußball-Kalender. Weil? „Habe ich dir damals als Kind schon gerne geschenkt. Du hast dich immer sehr gefreut.“ Das kam unerwartet und ist doch praktisch. Der mütterliche Griff in die Geschenke-Mottenkiste erweist sich als Segen für den Redaktionsalltag. Besagter Kalender enthält ein paar nette Bilder aus der WM-Qualifikation, sodass mir gerade zwei Kicker aus Belgien und Gibraltar über die Schulter schauen. Vor allem aber: Es gibt einen WM-Spielplan. Der hängt unterm Kalender und hat mich früh sensibilisiert: Aufpassen ist im Frühsommer die goldene Regel. Denn die Partien – auch von Jogis Jungs – werden zum Teil schon um 17 Uhr angepfiffen. Ich fühlte mich gewappnet und bin dann doch ganz fröhlich gleich in die WM-Falle getappt. Als wir jüngst in fröhlicher Runde die Sonn- und Feiertagsdienste bis zum Sommer festgezurrt haben, war ich mit dem 17. Juni absolut einverstanden. Bis ich später die Blicke der Jungs vom Wandkalender spürte und merkte: Da war doch was. Genau: Deutschland gegen Mexiko, „unser“ erstes Vorrundenspiel wird just an jenem Sonntag um 17 Uhr angepfiffen. Genau zu der Zeit, wenn der redaktionelle Endspurt beginnt. Kurzes Grummeln. Wie sagen die Trainer so gerne: Taktik ist nur Schall und Rauch, die Wahrheit liegt auf dem Platz. Oder bei uns: steht auf dem Sonntagsdienstplan. Der rettende Strohhalm für alle Sportler? Aberglaube. Rückblende: Das Titelgewinn-Turnier von Brasilien habe ich auch in der Redaktion begonnen, fuhr in der Pause heim und durfte dort mit meinen zwei Mädels dann das 4:0 gegen Portugal bejubeln. So kann es diesmal wieder laufen, wenn in der Arbeit alles flutscht. Die erste Partie ist die einzige Hürde für mich. Dank der frühen Sommerferien habe ich in den entscheidenden WM-Wochen frei. Die größte Fußball-Job-Hürde bleibt mir erspart: Das Finale wird am 15. Juli (Sonntag) auch um 17 Uhr angepfiffen. Da können alle nichtfußballbegeisterten Kollegen Beliebtheitspunkte bei ihren redaktionellen Hobby-Bundes-Jogis sammeln. Wie schwer beides unter einen Hut zu bringen ist, habe ich übrigens bei der WM 2002 erlebt. Mitfiebern in der Redaktion – damals noch Frankenthal. Deutschland spielt. Das Telefon klingelt. Ich nehme ab, genau in dem Moment landet der Ball im Tor. Ich schreie: JAAAA. Da wird mir der Telefonhörer bewusst. Kurzes „Hallo?“. Es war mein damaliger Fußball-Spezial-Mitarbeiter. Glück gehabt. Nicht wirklich peinlich. Vor allem: Er schrie genauso. Aber: Warum ruf er überhaupt mitten im Spiel an? „Ich dachte nicht, dass was passiert.“ Experten halt. Die Kolumne Fünf Redakteure berichten für die RHEINPFALZ über Ludwigshafen. Ihre Erlebnisse aus dem (Arbeits-)Alltag nehmen die Redakteure in der Kolumne „Quintessenz“ wöchentlich aufs Korn.

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