Ludwigshafen Kritisches Schlussquartett

Mit „Vier Leser im Gespräch“, einer Runde von Literaturkritikern, die sich in lockerer Atmosphäre über Bücher unterhält, ist das neunte Literaturfestival „lesen.hören“ in Mannheim zu Ende gegangen. Die beliebte Kritikerrunde fand bereits zum vierten Mal statt, und in diesem Jahr kamen sogar noch mehr Zuhörer als in den Vorjahren.

Der Zuwachs bei dieser Abschlussveranstaltung entsprach der wachsenden Besucherzahl des Mannheimer Literaturfestivals insgesamt. 5700 Besucher kamen diesmal zu den 31 Veranstaltungen, 400 mehr als im vergangenen Jahr. Das Konzept des Programmleiters Roger Willemsen, Prominente und Bücher, zugkräftige Namen und Literatur zu verbinden, ist damit aufgegangen. Claudia Roth und Gregor Gysi gehörten zur vertretenen Politprominenz, Senta Berger, Christoph Metzelder und Richy Müller waren einige der aus Sport und Fernsehen bekannten Gesichter. Orientierung an bekannten Namen war auch bei der Auswahl der Bücher in der abschließenden Kritikerrunde spürbar, die Roger Willemsen selbst moderierte. Teresa Präauer gehört mit „Johnny und Jean“ zu den Favoriten für den deutschen Buchpreis, der übermorgen auf der Leipziger Buchmesse bekanntgegeben wird. Sie trat mit ihrem zweiten Roman auch auf dem Festival auf und wurde jetzt von Insa Wilke nochmals in die Kritikerrunde eingebracht. Insa Wilke, erstmals statt der Literaturkritikerin Ursula März bei „Vier Leser im Gespräch“ dabei, bewunderte an der Parodie auf den Kunstbetrieb Teresa Präauers offene Schreibweise. „Sie ist ganz frei im Kopf, ein unglaublicher Freigeist“, meinte die Literaturkritikerin. Maike Albath nannte Präauer eine „Künstlerin der Plötzlichkeit“ und hob an „Johnny und Jean“ den zupackenden Satzrhythmus hervor. Roger Willemsen war von dem immensen Charme, Humor und Esprit bezaubert. Peter Hamm, selbst Schriftsteller, Lyriker und bekannt durch Filme über Peter Handke und Ingeborg Bachmann, stimmte diesen Urteilen zwar zu, fand den Roman aber auch ein wenig harmlos. „Der Kunstbetrieb ist eine Parodie seiner selbst“, meinte er. „Er braucht nicht parodiert zu werden.“ Hamm stellte Botho Strauß’ Erzählung „Herkunft“ zur Diskussion. An den Kindheits- und Jugenderinnerungen des 70-Jährigen berührte Hamm die Nähe, die Strauß darin nachträglich zu seinem Vater herstellt. Die Würde, die der Text ausstrahlt, fand zwar auch das Gefallen der anderen. Seine bisweilen pathetische und manierierte Sprache stieß jedoch vor allem Maike Albath ab. Die in Berlin lebende Literaturkritikerin hatte James Salters Roman „Alles, was ist“ mitgebracht, schien aber mit ihrer Wahl selbst inzwischen nicht mehr so recht zufrieden. Der stark autobiographische Roman des Westpoint-Absolventen, früheren Kampffliegers im Koreakrieg und Lektors in New York besteht nämlich etwa zur Hälfte aus freizügig erzählten Sexszenen mit einer Vielzahl von Partnerinnen. Darüber konnte sich die Runde noch amüsieren. Vor allem nach literarischen Wertmaßstäben fiel Salters Buch jedoch durch die Prüfung der Kritiker. Insa Wilke attestierte ihm „einen komplett männlichen Blick“, Roger Willemsen eine „Banalität der Erinnerungen“. Und Peter Hamm sah in den gestanzten Sätzen und misslungenen Vergleichen den „Sieg des Journalismus über die Literatur“. Darin bildete „Alles, was ist“ das Gegenteil zu „Gräser der Nacht“ von Patrick Modiano. Dem Lob Roger Willemsens, der den Roman ausgewählt hatte, schlossen sich die anderen an. Ihnen gefiel an dem Paris-Roman des Nobelpreisträgers vor allem die Unschärfe, die der Autor herzustellen weiß, um die Fantasie des Lesers anzuregen. Mit einigen schmeichelhaften Worten an die Mannheimer und dem Wunsch, den Sonnenschein zu genießen, verabschiedete sich Roger Willemsen bis zum nächsten Jahr.

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