Ludwigshafen Jesus als Rebell

Die gegenwärtige unfriedliche Weltlage spielte nur am Rande in die Jahrestagung der Bloch-Gesellschaft hinein, die sich das Thema „Die Utopie des Friedens“ gestellt hatte. Breiteren Raum beanspruchte der Erste Weltkrieg und dessen Ausbruch vor hundert Jahren. Aber einen Weg aus dem Dilemma, dass nur Gewalt einen Zustand der Gewaltlosigkeit herstellen und garantieren kann, konnte die Tagung im Bloch-Zentrum auch nicht weisen.

Fast auf den Tag genau vor bald 50 Jahren, am 15. Oktober 1967, nahm Ernst Bloch in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen und hielt eine Rede, der damals viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es war die Zeit des Vietnamkriegs, der Notstandsgesetze und der Kindertage der Studentenbewegung. Der 82-jährige Bloch machte aus seinen Sympathien für den Protest der jungen Leute und für ihr Eintreten für eine friedlichere und demokratischere Gesellschaft keinen Hehl. In seiner Paulskirchen-Rede mit dem Titel „Widerstand und Friede“ bekannte er sich zum Widerstandsrecht, stellte Jesus als Rebellen dar und Frieden nicht als Gottesgeschenk, sondern als eine aktive Handlung im Sinne des aufrechten Gangs. Sein Eintreten für ein Gewaltrecht des Guten im Sinne seiner berühmt-berüchtigten Formel vom „kategorischen Imperativ mit dem Revolver in der Hand“ fand freilich nicht nur Zustimmung. Manche nahmen auch Anstoß an ihr, vor allem später in der Zeit des RAF-Terrors, von dem Bloch sich allerdings ausdrücklich distanzierte. Die junge Politologin Julia Zilles beschäftigte sich in einem spannenden Vortrag mit Blochs Rede und dem Medienecho, das sie hervorrief. Dem auf ihren Vortrag folgenden Austausch lebhafter Erinnerungen zwischen Gert Ueding und Burghard Schmidt, den beiden älteren Tagungsteilnehmern aus Blochs Umkreis, die die weitgehend frei gehaltene Rede selbst miterlebt hatten, war deutlich anzumerken, welch nachdrückliche Wirkung sie ausgeübt haben muss. „Worte, die wie Peitschenhiebe in den Saal hallten“, zitierte Julia Zilles einen der damaligen Berichterstatter, den jüngst hochbetagt verstorbenen Politologen Iring Fetscher. Gert Ueding selbst, Bloch-Schüler und inzwischen emeritierter Inhaber des Rhetorik-Lehrstuhls in Tübingen, ließ in seinem eigenen Vortrag den begnadeten Redner und Polemiker Bloch anhand von Auszügen aus dessen Schriften lebendig werden und setzte ihn von der heutigen „steifbeinigen Universitätsphilosophie“ ab. Blochs „Kraft und Lust zu vernichten“, so Uedings These, übertrage sich auf den Leser. Aus der Sicht des Rhetors mit der Waffe des Wortes erschien Bloch so keineswegs als Friedensdenker. Für Burghard Schmidt in seinem Vortrag mit dem Titel „Die Utopie verlässt uns nicht“ ist der Frieden bei Bloch hingegen ein Leitziel, ein Postulat, ähnlich wie es Kant etwa für die Gerechtigkeit beansprucht. „Seien wir Realisten, verlangen wir das Unmögliche“, zitierte Schmidt eine Parole aus dem Pariser Mai ’68. Johan Siebers von der Middlesex University in London stellte fest, dass der Begriff des Friedens im Werk des Denkers der Utopie gar nicht sehr oft vorkommt, wenn aber, dann meist mit einem negativen Beiklang im Sinne eines faulen Kompromisses. Es gebe bei Bloch aber durchaus die Vorstellung vom „Kämpfer für den Frieden, den wir im Augenblick dringend brauchen“, meinte Siebers. Die derzeitige Weltlage berührte wenigstens ein wenig Rainer Zimmermann von der Hochschule für angewandte Wissenschaften München in seiner Schilderung des Vorabends des Ersten Weltkriegs. „Es gibt keinen Akteur, der nicht behauptet, den Frieden zum Ziel zu haben“, gab Zimmermann zu bedenken. Wie neuerdings Christopher Clark stellte er die These des Historikers Fritz Fischer aus dem Jahr 1961 von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands in Frage. Das rief Tagungsleiter Werner Wild auf den Plan, denn schon der Zeitgenosse Bloch, der während des Kriegs in die Schweiz emigriert war, hatte im preußischen Militarismus den Kriegstreiber gesehen. In seinem eigenen Vortrag über diese Lebensphase Blochs kam Wild zu dem Ergebnis: „Ein radikaler Pazifist war Bloch nicht.“

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