Ludwigshafen Im Echoraum der Erinnerung

Die Schriftstellerin Gabriele Weingartner, geboren in Edenkoben, hat lange in der Südpfalz gewohnt, bevor sie 2008 nach Berlin gezogen ist. Jetzt war sie zu Besuch in Ludwigshafen und hat im Ernst-Bloch-Zentrum ihren jüngsten Roman „Die Hunde im Souterrain“ vorgestellt.

Schon in ihrem Erstling von 1996 „Der Schneewittchensarg“ hat Gabriele Weingartner ein Panorama deutscher Geschichte von der Nachkriegszeit bis zum Ende des Kalten Krieges entworfen. In ihrem neuen Roman „Die Hunde im Souterrain“ weitet sie diesen Blick noch aus und führt ihn zeitlich von den Berliner Bombennächten im Weltkrieg bis in die unmittelbare Gegenwart, räumlich bis in die Vereinigten Staaten. Felice und Ulrich heißen ihre beiden Romanfiguren, in deren Lebens- und Liebesgeschichte die Zeitläufte hineinspielen. Felice, eine in die Jahre gekommene Frau, entdeckt in einer Kiste einen Briefentwurf ihres Mannes Ulrich. In den hingekritzelten Zeilen meint sie endlich einen Hinweis gefunden zu haben, um seinen rätselhaften Selbstmord zu entschlüsseln. Sie macht sich auf nach New York und Boston, wo die beiden, sie noch eine junge Studentin, er zwölf Jahre älter und ihr Professor, in den 1970er Jahren gelebt haben. An der amerikanischen Ostküste sucht Felice einstige Bekannte als Zeitzeugen auf und lässt die damaligen Ereignisse nochmals an ihrer Erinnerung und am Leser vorüberziehen. Im Ernst-Bloch-Zentrum las die Autorin eine Passage von Felices Ankunft in Manhattan, gefolgt von ihren Erinnerungen an einen Empfang an der Universität Cambridge, Massachusetts, im Oktober 1973. Damals war der Militärputsch in Chile noch Tagesgespräch, und im Nahen Osten war soeben der Jom-Kippur-Krieg ausgebrochen. Später las Gabriele Weingartner noch die Passage, in der Felice mit einem Historiker, der Kriegsheimkehrer über ihre Erlebnisse während der Befreiung nationalsozialistischer Konzentrationslager befragt hatte, zusammentrifft. „Die Hunde im Souterrain“, der Buchtitel, ist ein Zitat aus der Briefkorrespondenz Thomas Manns mit seinem Jugendfreund Otto Grautoff. In das Bild fasst der Romancier seine unterdrückte homosexuelle Veranlagung. Er lege seine Hunde an die Kette, heißt es bei Thomas Mann wie aus dem Munde Ulrichs in Gabriele Weingartners Roman. Weil er mit seiner Homosexualität nicht zurechtkam und weil er in einer Berliner Bombennacht den Tod eines Menschen verursacht hat – ob schuldhaft oder unverschuldet lässt der Roman offen – ist Ulrich aus dem Leben geschieden. „Plausibel, schön, suggestiv erzählt“ nannte Jochen Hörisch, Germanistikprofessor an der Universität Mannheim, Gabriele Weingartners Roman. Seit vielen Jahren mit ihr befreundet, schwelgte Hörisch in Erinnerungen und bedauerte den Umzug der Duzfreundin und ihres Lebensgefährten, des bildenden Künstlers Volker Heinle, nach Berlin. Wie stets sehr temperamentvoll und eloquent, entlockte Hörisch der Autorin und Literaturkritikerin, die auch für die RHEINPFALZ tätig ist, jedoch auch einige Bekenntnisse und Interpretationshilfen zu ihrem Roman. Vieles sei autobiographisch an „Die Hunde im Souterrain“, besonders die Erlebnisse an der Universität, sagte Gabriele Weingartner, die in Berlin und im amerikanischen Cambridge Germanistik und Geschichte studiert hat: „Ich habe mich meinen eigenen Echoräumen überlassen.“ Die „Gespensteratmosphäre“ in dem Roman rühre von den traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Weltkriegs her. „Wir sind die Produkte dieser Zeit“, sagte sie. Die sexuelle Revolution, die Überzeugung, dass jeder seinen sexuellen Vorlieben nachgehen dürfe, habe sich von allen Auswirkungen der Studentenrevolte als die dauerhafteste erwiesen. Für Ulrich, so seine Schöpferin, erweise sich „das Leben nicht lebenswert in dem moralisch rigiden Klima der damaligen Zeit“. Ihre Romanfigur Felice zu Beginn der 1970er Jahre aber, hinter der sich vielleicht sogar eine andere Gabriele Weingartner verbirgt, nannte sie in ihrer aufschauenden Bewunderung für den älteren Geliebten „eine feministische Katastrophe“. So ist „Die Hunde im Souterrain“ auch die Geschichte der Entzauberung eines Idols und die einer Selbstfindung.

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