Ludwigshafen Gewaltige Aufgabe

Wie ein gewaltiges Rätsel steht Claudio Monteverdis „Marienvesper“ als größte musikalische Leistungsschau in der Musikgeschichte. Wer sich an den 90-Minuten-Brocken wagt, braucht Mut und Kenntnis, zumal dann, wenn ein nicht auf Monteverdi spezialisierter Laienchor im Zentrum steht. Christiane Michel-Ostertun und der Chor für Geistliche Musik Ludwigshafen hatten diesen Mut und stellten den Koloss in der voll besetzten Friedenskirche zur Diskussion.

Ein Meisterwerk, unbestritten. Aber was für eines? Zusammen mit einer Messvertonung wurde es 1610 gedruckt. Seine Bestimmung ist unklar. Ob es als Ganzes (und in dieser Reihenfolge) gedacht war? Oder die nie für eine Gesamtaufführung gedachte Mustersammlung oder Bewerbungsmappe des Mantuaner Kapellmeisters, der sich für höhere (und besser bezahlte) Engagements empfiehlt? Was ist es denn nun? So viele Musikhistoriker und Praktiker, so viele Antworten gibt es auf alle diese Fragen. Aber braucht es überhaupt eine Antwort, wenn es, wie bei jeder Musik, am Ende doch nur auf den klingenden Beweis einer Aufführung ankommt, die von den Zeitgenossen als plausibel betrachtet wird? Monteverdi hatte mit dem praktischen Nutzen seiner „Vespro della Beata Vergine“ wenig Glück – abgesehen davon, dass sie seinen Ruhm in der europäischen Musikwelt noch weiter festigte. Papst Paul V. ließ den Mann samt seinen Noten nicht einmal vor, mit einem Pöstchen für einen zu versorgenden Sohn wurde es nichts, geschweige denn mit einer Anstellung für den Vater. Monteverdi wurde dann bekanntlich hoch angesehener Kapellmeister am Markusdom zu Venedig und erster großer Meister der seit 1637 kommerziell betriebenen venezianischen Oper. Natürlich setzt auch Chorleiterin Christiane Michel-Ostertun auf möglichste historische Genauigkeit. Das auf die Musik des 17. und späten 16. Jahrhunderts spezialisierte Instrumentalensemble „Musiche Varie“ ist mit Streichern, Zinken, Barockposaunen und Chitarrone (Basslaute) in der Continuo-Gruppe korrekt zur Stelle. Die Vokalsolisten – das sind die Sopranistinnen Esther Sieber, Nora Steuerwald und der Altus Thomas Nauwartat-Schultze auf der einen, die Tenöre Sebastian Hübner und Peter Gortner sowie die Bassisten Timothy Sharp und Kihoon Han auf der anderen Seite – sind ihren manchmal nicht unheiklen Aufgaben professionell gewachsen. Der mit etwa 60 Sängern historisch gesehen zu umfangreiche Chor für Geistliche Musik allerdings klingt schon aufgrund seiner Masse zu unbeweglich und zu satt, was Textverständlichkeit und kleinteilige Artikulation angeht; da hilft auch keine noch so präzise, auf plausible Tempi und Proportionen abgestellte Einstudierung. Nun soll man nicht pingelig sein. Die Anstrengung der Sänger war gewaltig und das von einem prunkvoll noch einmal alle Register ziehenden Magnificat gekrönte Ergebnis am Ende doch aller Ehren wert.

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