Ludwigshafen Flüsternde Polen

Das Deutsch, das Emilia Smechowski mit einem ganz besonderen Timbre in der Stimme spricht, ist akzentfrei. Der Aufwand, Doppelvokale richtig auszusprechen, ist noch nicht einmal im Ansatz wahrnehmbar. Und doch kämpft die 35-Jährige mit ihrer polnischen Herkunft. In der Reihe „Europa – Morgen – Land“ hat die Journalistin und Autorin im Ludwigshafener Kulturzentrum Das Haus aus ihrem Debütroman „Wir Strebermigranten“ gelesen.

Fünf Jahre alt ist Emilia Smechowski, als sie 1988 mit ihrer Familie aus der Gegend um Danzig in die Bundesrepublik ausreist. Wie viele polnische Familien hatten die Smechowskis keine Schwierigkeiten, deutsche Papiere zu bekommen. Auch Integrationsschwierigkeiten gibt es nicht. Schon nach wenigen Monaten bekommt die Familie die erste Wohnung in Neukölln. Die Eltern belegen bald Sprachkurse am Goethe-Institut, die kleine Emilia suchte sich ihren Platz im Kindergarten, lernt rasch Deutsch. Irgendwas läuft aber schief für die Schülerin mit neugewonnener deutscher Nationalität. Denn was nun folgt, so erzählt sie packend und emotional in ihrem Buch, war der überaus angestrengte Versuch einer Assimilierung. „Wir hatten immer das Gefühl, etwas aufholen zu müssen“, schreibt die erwachsene Emilia in der Rückschau. Wenn sie als Kind in der U-Bahn mit der Mutter polnisch spricht, trifft sie ein laut gezischtes „Psst … in Deutschland sprechen wir deutsch.“ Was sie in den Straßen von Berlin wahrnimmt: „Die Polen sind die, die flüstern.“ Die Schulnoten sollen vom Feinsten sein. Folgerichtig staut sich ihre innere Rebellion gegen die Anstrengung der Eltern, in der prosperierenden Bundesrepublik nur ja nicht zurückzufallen. Emilia verlässt mit 16 Jahren das Elternhaus, macht Abitur, jobbt, studiert ihr Traumfach Operngesang – alles gegen den Willen von Mutter und Vater. Die hatten Angst um ihre scheinbar mühsam gewonnene Existenz. Wie genau fühlte sich das an? „Angst, entlarvt und dann nicht mehr gemocht zu werden“, seziert die Autorin unmissverständlich. Dieses Trauma sitzt nicht nur bei ihr tief. Emilia Smechowski erreichen nach Herausgabe ihres Romans sehr viele Zuschriften. In vielen davon geben Menschen erleichtert kund, dass sie diesen Schmerz von sich gut kennen, dass sie sich ebenfalls überangepasst haben. „Es gibt auch Kritik“, erzählt sie nach der Lesung, gerade von emigrierten Polen, die ihre Offenheit als Tabubruch empfinden. Emilia Smechowski erzählt mit ruhiger Stimme. Doch die treffenden, kurz gehaltenen Satzkonstrukte machen den Leser fast atemlos, viele Bausteine aus dem Handlungsaufbau scheinen zu fehlen. Sie ersetzt die Lücken mit ihrer Offenheit. Eigentlich ist dem Leser ja klar, wovon sie erzählt. Dass sie tief geprägt ist von den Maximen der Eltern und vieler anderer Familien aus Polen. Nur ja in dem neuen Heimatland nicht aufzufallen, aber aufzusteigen auf der sozialen Leiter: „Verleugnung der eigenen Identität, sich unsichtbar machen“, wie Emilia Smechowski es gnadenlos benennt und damit doch hohes Mitgefühl für die Zugewanderten erweckt. Wer von uns hat nicht Ähnliches erlebt? Oder davon gehört? Besonders brillant schreibt sie, wenn sie ihre Handlungen und Willensbekundungen in der Rückschau reflektiert: intim, aber ohne ihr Seelenleben zur Schau zu stellen, immer mit der nötigen Distanz einer Romanautorin zu sich selbst. Besonders gelungen sind auch die Passagen, in denen polnische und deutsche Sprache ineinanderfließen. Wenn sie erzählt, dass sie versucht, ihre kleine Tochter zweisprachig zu erziehen. Wenn sie schildert, dass sie nun Polnisch lernt, um ihre eigentliche Muttersprache endlich richtig kennenzulernen. Denn der tiefste Ausdruck werde wohl aus diesem frühkindlichen Sprachschatz kommen, ist sich die Autorin sicher. Zurzeit lebt Emilia Smechowski in Danzig, macht Erfahrungen in der alten Heimat. Auf neue Bücher von ihr und ihre sprachliche Weiterentwicklung darf das Publikum mit Recht sehr gespannt sein.

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