Ludwigshafen Für eine bessere Welt

„Der ideale Aufführungsort“: Der Komponist Oliver Augst auf der Rampe des Wilhelm-Hack-Museums und in der gediegenen Umgebung de
»Der ideale Aufführungsort«: Der Komponist Oliver Augst auf der Rampe des Wilhelm-Hack-Museums und in der gediegenen Umgebung des Ludwigshafener Kunsttempels.

Was bedeutet heutzutage Arbeit? Gibt es überhaupt noch Arbeiter oder nur noch hochspezialisierte Fachkräfte? Solche Fragen stellt „Stadt der 1000 Feuer“, das am Samstag im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum eine Aufführung erleben wird. Der Komponist Oliver Augst und der Schriftsteller John Birke haben ein Stück mit Arbeiterchören aus der Zeit der Weimarer Republik an die Gegenwart angepasst und zeigen nun eine eigens auf Ludwigshafen zugeschnittene Version ihrer Bearbeitung.

Dass „Stadt der 1000 Feuer“ ein sehr passender Titel für Ludwigshafen und für ein Stück über Industriearbeit ist, davon kann sich jeder überzeugen, der nach Einbruch der Dunkelheit am BASF-Werksgelände entlangfährt. Ursprünglich war das Stück für Frankfurt konzipiert, wo es auch vor fast fünf Jahren seine Uraufführung im Mousonturm erlebt hat. Bald darauf gab es eine Vorstellung in Mannheim in der Alten Feuerwache, und dann noch eine Vorstellung im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, einem ehemaligen Zentrum der früher mit viel Schmutz und Schweiß verbundenen Industrie- und Bergwerksarbeit. Im Volksmund werde Gelsenkirchen zwar „Stadt der 1000 Feuer“ genannt, erzählt Oliver Augst. Auf das gepflegte Erscheinungsbild der Stadt nach der Stilllegung der Zechen und der Einstellung der Stahlproduktion wolle der Titel inzwischen aber nicht mehr so recht passen. Außerdem gab es noch eine Hörspielfassung von dem Stück, die mehrfach vom Hessischen Rundfunk ausgestrahlt worden ist. Die Aufforderung, das Stück in Ludwigshafen aufzuführen, erging an Oliver Augst direkt vom Kultusministerium in Mainz, das den Kultursommer des Landes in diesem Jahr unter das Motto „Industriekultur“ gestellt hat. Nachdem er sich beim Ministerium vor einigen Jahren mit einem Projekt zu Ernst Neger, dem Fasnachtsidol der Nachkriegszeit, bemüht habe, scheine sein Name dort bekannt zu sein, sagt der Komponist. Das Projekt „Der Ernst-Neger-Komplex“ über Rührseligkeit und Feierfreude im traumatisierten Deutschland der Nachkriegszeit kam indessen nie zustande, wurde aber als eine Art Live-Hörspiel und schräge Revue in Szene gesetzt und ebenfalls im Frankfurter Mousonturm aufgeführt. Dafür heißt es jetzt also im rheinland-pfälzischen Kultursommer „Stadt der 1000 Feuer“. Das Stück beruht auf „Der gespaltene Mensch“ von Bruno Schönlank aus dem Jahr 1927. Damals wurde es von Arbeiterchören, die keinerlei musikalische Ausbildung genossen hatten, auf großen Plätzen mit Flüstertüten aufgeführt und richtete sich an Werksbelegschaften. Es gab einen Redner, dessen Worte ein Chor wiederholte. „Verstärkung der Stimme durch eine Menge ist ein ungeheures Phänomen“, sagt fasziniert der Komponist. „Sowohl wegen seiner Kraft als auch wegen seiner Lautstärke.“ Damals, auf dem Höhepunkt der Weimarer Republik, ging es um Klassenkampf, um den Kampf für eine bessere Welt und für verbesserte Lebensbedingungen der Arbeiter. Für Oliver Augst und den bekannten, durch zahlreiche gemeinsame Produktionen mit ihm verbundenen Autor John Birke hat sich die Frage gestellt, was Arbeit heutzutage bedeutet, auch für sie selbst als Schriftsteller und Musiker. „Wirklich freies Arbeiten, zum Beispiel Komponieren“, zitiert Oliver Augst Karl Marx, „ist gerade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung.“ So haben die beiden vier Episoden in ihr Stück eingestreut, in denen vier Sprecher in Interaktion mit dem Chor Situationen am Arbeitsplatz vorstellen. Da ist etwa eine junge Frau, die von ihren Erfahrungen als Angehörige der „Generation Praktikum“ berichtet, oder ein älterer Herr, der seiner ausgedienten und durch eine neuere Maschine ersetzten Werkbank nachtrauert. Als Sprecher treten auf die Hamburger Elektropop-Musikerin und Theaterregisseurin Bernadette La Hengst und die deutsch-französische Künstlerin Françoise Cactus, der Berliner Komponist und Performancekünstler Frieder Butzmann und der schwedische Komponist und Freejazzer Sven-Ake Johansson. Der Chor besteht aus 40 Personen. Überwiegend kommen die Mitwirkenden aus Frankfurt und sind bereits bei der Uraufführung aufgetreten. Verstärkt werden die Stammmitglieder in Ludwigshafen von BASF-Mitarbeitern. Chorleiter ist Marcus Rüdel, früher Leiter des Gesangschors des Hessischen Rundfunks, der auch schon die Uraufführung einstudiert hat. „Stadt der 1000 Feuer“ hatte einen Vorläufer in der Hörspielproduktion „Long Live The People Of The Revolution“ , die im Jahr 2000 im Radio lief. Darin verarbeitete Oliver Augst Texte von Ernst Toller und Lieder von Bert Brecht und Hanns Eisler. Dem gebürtigen Frankfurter, der dem dortigen Mousonturm lange Zeit eng verbunden war und inzwischen nach einem zweijährigen Parisaufenthalt in Ludwigshafen lebt, geht es in seinen Produktionen um „das immer noch nicht gelöste Problem einer menschenfreundlichen Gesellschaft“. Dem Ludwigshafener Publikum könnte der 56-jährige Künstler bekannt sein aus seinen Musikbeiträgen zur Diskussionsreihe „Utopie-Station“ am Mannheimer Nationaltheater, die er viele Jahre begleitet hat. Kürzlich erst hat er die Multihalle im Mannheimer Herzogenriedpark mit einer Rauminstallation bestückt und sie von Textcollagen, unter anderen vorgetragen von dem Architekten Frei Otto, vom Band begleiten lassen. Auf der Suche nach einem geeigneten Aufführungsort für „Stadt der 1000 Feuer“ in Ludwigshafen hatte Oliver Augst bald die Rampe im Wilhelm-Hack-Museum im Blick. Sie erscheint ihm ideal. Der Künstler, der nicht nur an der Musikhochschule in Hamburg studiert hat, sondern auch visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, hat nämlich auch ein Auge auf effektvolle bühnenbildnerische Elemente. Auf der Rampe, so glaubt er, werde der Chor die erwünschte Wucht entfalten. Termin Aufführung am Samstag, 1. September, um 20 Uhr im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen, Berliner Straße 23. Karten im Vorverkauf unter der Rufnummer 0621/504-3045 oder -3411

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