Ludwigshafen „Die Leute denken und handeln grün“

„Ludwigshafen-Süd wird immer schöner“, sagt Raik Dreher. In dem renovierten Straßenbahndepot, in dessen Nachbarschaft er wohnt,
»Ludwigshafen-Süd wird immer schöner«, sagt Raik Dreher. In dem renovierten Straßenbahndepot, in dessen Nachbarschaft er wohnt, kann man jetzt essen gehen, Trompete lernen und Möbel kaufen.

Berlin, Berlin (4): Damit auch grün gewählt wird, engagiert sich Raik Dreher (48) aus Ludwigshafen.

„Wer Merkels Klimaziele glaubt, der sollte sich eine Schwimmweste anziehen“, soll jemand auf dem Grünen-Parteitag gesagt haben. Sprich: Damit Klimapolitik, Verkehrswende und Kohleausstieg mutig angepackt werden, braucht es Bündnis 90/Die Grünen, meint Raik Dreher. Der 48-jährige Ludwigshafener tritt als Bundestagskandidat an, doch Wahlplakate mit seinem Konterfei wird es nicht geben. Er wirbt nicht für sich, sondern für grüne Themen. Seine Hemden hängen im Schrank nach Farben sortiert: weiß, hellblau, kariert. „Ich mag es eben, wenn ich gleich mein Lieblingshemd finde“, sagt Raik Dreher. Als ordnungsliebend beschreibt sich der 48-Jährige, passend zu seinem Sternzeichen Jungfrau und seinem Beruf als Volljurist. Kaum zu glauben, dass dieser Mann im gebügelten weißen Hemd mal eine Wohnung besetzt hat. Als Student in Berlin hörte er in seiner Kneipe, dass eine Wohnung freistand, weil die Mieterin gestorben war. „Ich habe einen Schlosser geholt und bin in meine erste eigene Wohnung eingezogen“, erzählt Dreher. „Das haben in der DDR damals viele so gemacht. Die Wohnungsverwaltung hatte keinen Überblick. Monate später kam ein Brief, dass ich Strafe zahlen sollte, und der Mietvertrag.“ Das war sozusagen sein „Schlüsselerlebnis“ in der DDR, wo er 1968 in der Nähe von Berlin geboren wurde. Während die Mauer fiel, suchte Dreher nach seinem beruflichen Weg und lernte erst Verwaltungswirt und studierte danach Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. „Jura betrachte ich eher als Handwerk, nicht als Wissenschaft“, sagt Dreher. Als „Wald- und Wiesenjurist“ arbeitet er seit 2000 bei der Deutschen Rentenversicherung in Speyer, wo er Widersprüche bearbeitet, über Renten entscheidet und seine Behörde vor Gericht vertritt. Sein 25-jähriges Dienstjubiläum hat er 2016 gefeiert und ist damit so beständig, wie von seinem Sternzeichen prophezeit. Ob er sich erhofft, über ein Bundestagsmandat wieder in seine Heimatstadt Berlin zurückzukehren? „Ich kandidiere nicht, um ein Direktmandat im Wahlkreis zu gewinnen“, sagt der Ludwigshafener, der auch keinen Listenplatz hat. Dabei heimste er bei der Ortsvorsteherwahl im Ludwigshafener Stadtteil Süd vor drei Jahren immerhin auf Anhieb 17,5 Prozent ein. Im Ortsbeirat will er sich weiter engagieren, gerne künftig auch im Stadtrat. Und er will weiter den Kreisverband mitführen und wurde gerade in den Landesvorstand gewählt. „Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen.“ Nein, Dreher kandidiert, um grüne Themen in die Diskussion einzubringen. Ein zweistelliges Ergebnis erhofft er sich bei der Zweitstimme für seine Partei im Wahlkreis Ludwigshafen-Frankenthal. Acht Prozent seien Stammwähler, und Potenzial darüber hinaus sei da. „In den Neubaugebieten haben viele Leute Solaranlagen auf dem Dach“, sagt er. „Die Leute denken grün und handeln grün, aber sie wählen nicht grün.“ Seine Partei sei ein Motor, um Themen voranzubringen, an die sich die Volksparteien nicht wagen, etwa Kohlekraftwerke abzuschalten. „Wenn der Klimawandel droht und wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen, dann brauchen wir den Kohleausstieg, eine Verkehrswende und müssen E-Mobilität fördern“, sagt Dreher. „Das ist doch logisch und nicht ideologisch.“ Erdöl werde noch zum Herstellen künstlicher Herzklappen benötigt. „Es ist zu schade, um es sinnlos in Autos zu verbrennen.“ In den Ländern, wo sich seine Partei an der Regierung beteilige, werde der Klimawandel bekämpft. Auch auf ein starkes Europa setzen die Grünen. „Wir halten die EU für eine Erfolgsgeschichte. Keiner will mehr Grenzen, Visa beantragen und Geld umtauschen. Großbritannien steht mit dem Brexit vor einem Scherbenhaufen.“ Manches, für das sich seine Partei auf Bundesebene einsetzen wolle, komme direkt der Region zugute: „Millionenbeträge sollen für Schulen ausgegeben werden, davon würde Ludwigshafen profitieren.“ Den Lokalpolitiker haben die tristen Zustände an der Berufsbildenden Schule Sozialwesen entsetzt. Die Grünen im Wahlkreis stehen außerdem dafür, dass sie sich für den Ausbau der Radschnellwege einsetzen und ein Umsteigerticket für Pendler wollen – auch mit Blick auf den Hochstraßenabriss. Per Bahn pendelt Raik Dreher zwischen seinem Wohnort Ludwigshafen und dem Arbeitsplatz in Speyer. Und auch, wenn er wieder nach Berlin fährt, um seine Mutter zu besuchen, verzichtet er aufs Auto, nicht aus Ideologie, sondern auch aus Pragmatismus. „Den Stress tue ich mir nicht mehr an. Lieber leihe ich mir notfalls ein Auto vor Ort.“ Serie Bei der Bundestagswahl am 24. September entscheiden die Wahlberechtigten in Ludwigshafen, Frankenthal und dem Rhein-Pfalz-Kreis, wer bis 2021 ihren Wahlkreis 207 per Direktmandat in Berlin vertritt. Wir stellen die Bewerber vor.

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