Ludwigshafen „Der Text als Gegenüber“

Elmar Goerden, viele Jahre Oberspielleiter am Residenztheater in München und Intendant in Bochum, inszeniert zum ersten Mal am Mannheimer Nationaltheater. Dass er sich mit Ibsens Familiendrama „Die Wildente“ beschäftigt, war sein eigener Wunsch. Morgen ist Premiere im Schauspielhaus.

Dass man den norwegischen Dramatiker für nicht zwingend tagesaktuell halten könnte, räumt Goerden ein. „Der Befund ist in diesem Fall etwas schizophren: Wir haben einen zeitgenössischen Autor, der in seinen Stücken allerdings gegen Bastionen ankämpft, die heute offen stehen wie ein Scheunentor.“ Die emanzipatorischen Forderungen in „Nora“ zum Beispiel können nach Überzeugung Goerdens niemand mehr erschrecken. Man müsse also bei Ibsen schon sehr genau fragen, was da heute interessant, was noch von Belang ist?

Im Falle der „Wildente“ ist es nach Ansicht des Regisseurs die Beobachtung einer Familie, die unter Druck gerät. In die heile Welt von Hjalmar Ekdal, seiner Frau Gina und der 14-jährigen Tochter Hedwig platzt der wahrheitsbesessene Kaufmannssohn Gregers Werle mit der Nachricht, dass Hedwig gar nicht Ekdals leibliche Tochter ist, sondern aus einer Liaison seines Vaters mit Gina hervorging. Auch die Begegnung von Hjalmar und Gina war keineswegs zufällig, sondern vom alten Werle arrangiert, um auf diese Weise seine schwangere Geliebte loszuwerden. Dass Ekdals Vater eine Gefängnisstrafe absitzen musste, weil er als Angestellter des alten Werle versehentlich Staatsforst abholzen ließ, war ebenfalls ein krummer Deal, denn Werle hatte genauso viel Anteil an der Schuld, kam beim Prozess aber ungeschoren davon.

„Bei Ibsen wird die Gesellschaft durch das Brennglas Familie untersucht“, sagt Goerden, „was auf den Figuren lastet, hat ökonomische Gründe, aber diese Vergangenheitshypothek wird deshalb zum Problem, weil sie nicht angeschaut wird. Ibsens Figuren sind nämlich große Verdrängungskünstler.“ In seiner Inszenierung will er den Fokus vor allem darauf richten, was passiert, wenn eine Familie auf eine extreme Probe gestellt wird und in ihrem Kernbestand bedroht ist.

Jedes Wort dieses Theaterabends wird von Ibsen stammen, verspricht Goerden, allerdings wurde das Stück stark umgebaut und auch Szenen eingefügt, die vom Autor zwar geschrieben wurden, aber nicht in der Endfassung gelandet waren. „Man muss Stuckatur abhauen“, findet Goerden, um dadurch den Kern freizulegen. Dadurch werde sichtbar, wie hier Ideologie auf Lebenswirklichkeit trifft, Gregers Wahrheitsfanatismus auf das trotz aller Widrigkeiten gut funktionierende Eheleben der Werles.

Elmar Goerden, geboren 1963 in Viersen, wollte eigentlich Fußballprofi werden, spielte bei Borussia Mönchengladbach bis zur A-Jugend und hatte schon einen Vorvertrag für die Profis in der Tasche, als eine Verletzung seine sportlichen Ambitionen stoppte. Ein Besuch in einer Peymann-Inszenierung im Bochumer Schauspielhaus weckte dann seine Begeisterung für die Theaterwelt. Dem Studium folgten Regieassistenzen an der Berliner Schaubühne bei prominenten Regisseuren wie Peter Stein, Luc Bondy und Robert Wilson, dann erste eigenständige Regiearbeiten in Stuttgart. Einladungen zum Berliner Theatertreffen beschleunigten seine Karriere.

„Bei Stein, Bondy und Dorn bin ich theatralisch in die Schule gegangenen, ohne ein Jünger zu werden“, gibt Goerden zu Protokoll. Wichtig seien damals auch die großen Schauspieler an diesen Theatern gewesen, bei denen er viel gelernt habe, besonders „das Ernstnehmen des Textes als Gegenüber“. Wer nicht an die Liebe glaube, der dürfe auch nicht „Romeo und Julia“ machen, erteilt der gelegentlich als „konservativ“ gescholtene Regisseur allzu gewaltsamen Inszenierungsansätzen eine Absage.

Der Weg nach Mannheim führte über Basel, wo der inzwischen in Berlin lebende Goerden regelmäßig Opern inszeniert. Bei einer Bieito-Premiere traf er auf den Mannheimer Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski, der Interesse bekundete, Goerden als Regiegast ans Nationaltheater zu holen. Auch Goerden war interessiert, und beim Sondierungsgespräch war man sich „nach fünf Minuten“ über die Stückwahl einig. Ibsens „Wildente“ war Goerdens Vorschlag. Vier Dramen des Norwegers hat er schon inszeniert, die „Wildente“ noch nicht.

Jetzt ist er durchaus glücklich hier in Mannheim, „der schönsten hässlichen Stadt, die ich kenne“. Er wohnt gleich „beim Loch mit dem Kranballett“ in der Innenstadt und dienstags geht er „ins Herschelbad zu den alten Männern“. Im übrigen mag er sehr, dass Theater hier „keine Repräsentationsinstanz“ sei, sondern ein Ort, „wo die Bürgerschaft sich verständigt anhand von Theaterstücken“. Für die Theaterarbeit ist diese Stadt also ein guter Ort. Wiederkommen wird er auch, eine weitere Inszenierung ist schon geplant.

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