Ludwigshafen Der lange Weg zur Akzeptanz

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Zum ersten Mal in der Rhein-Neckar-Region wird im Ludwigshafener Stadtmuseum eine Ausstellung über Homosexualität gezeigt. Unter dem Titel „Vom anderen Ufer?“ wird die Diskriminierung Homosexueller seit dem Kaiserreich, aber auch die Emanzipationsbewegung seit den 1960er Jahren dargestellt. Bezüge zur „Szene“ in Ludwigshafen und in der Region fehlen auch nicht.

Er nannte sich Liddy Bacroff, hieß eigentlich Heinrich Eugen Habitz und wurde 1908 in Ludwigshafen geboren. Als er 1929 nach Hamburg zog, um sich in der Großstadt seinen Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen, war er schon mehrfach einschlägig vorbestraft. 1938 wurde er als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ zu drei Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt, 1943 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet. An Liddy Bacroffs letztem Wohnort in St. Pauli ist jüngst ein „Stolperstein“ zur Erinnerung an das Opfer der NS-Justiz verlegt worden. Die Ludwigshafener Ausstellung zeigt von ihm ein Schwarz-Weiß-Foto in Plakatgröße. Es wurde in einer der in der NS-Zeit eingerichteten „kriminalbiologischen Sammelstellen“ zur Erfassung erblich bedingter Krimineller aufgenommen und zeigt ihn kokett tändelnd in Frauenkleidern. Der Untertitel der Ludwigshafener Ausstellung „Von Verfolgung und Diskriminierung bis zu wachsender Selbstbestimmung, Emanzipation und Lebenslust“ gibt bereits einen Hinweis, was den Besucher erwartet: die Entwicklung zu gesellschaftlicher Toleranz und Akzeptanz Homosexueller. Bisheriger Schlusspunkt dieser Entwicklung ist die einer Ehe rechtlich fast gleichgestellte Möglichkeit der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle beiderlei Geschlechts. Die ebenfalls im Untertitel der Ausstellung auftauchende bürokratische Abkürzung BTTIQ klingt dagegen nach verwaltungstechnischer Kälte. BTTIQ steht für bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle, queere Menschen und umfasst so die ganze Bandbreite eines von der heterosexuellen Mehrheit abweichenden Sexualverhaltens. Die Idee zu der Ausstellung hatte Regina Heilmann, die Leiterin des Stadtmuseums, schon vor zwei Jahren. Seitdem hat es in Hamburg eine lokal ausgerichtete Ausstellung über die Diskriminierung Homosexueller gegeben und im Sommer dieses Jahres im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Ausstellung allgemein zu Homosexualität. Das Thema ist immer noch tabuisiert. Sie habe viele Absagen von Prominenten aus dem Sport oder aus Fernsehkrimis, die in der Ludwigshafener Ausstellung nicht erwähnt werden wollen, erhalten, bedauert Regina Heilmann. Der berüchtigte Paragraf 175, der „widernatürliche Unzucht“ unter Männern unter Strafe stellte, wurde in der Bundesrepublik erst 1994 abgeschafft, Homosexualität jedoch seit 1974 nicht mehr verfolgt. In der DDR wurde der entsprechende Paragraf 151 ebenfalls erst 1988, nur ein Jahr vor dem Fall der Mauer, gestrichen. Die jahrhundertelange Kriminalisierung männlicher Homosexueller führte dazu, dass sie eine verschwiegene Subkultur bildeten. Aber auch lesbische Frauen zogen es vor, ihre Veranlagung nicht öffentlich zu machen. In der Nachkriegszeit, bis in die 1970er, 1980er Jahre, traf sich die „Szene“ der Region in Ludwigshafen. Im Hemshof gab es sechs Szenelokale, die immer wieder Ziel von Polizeirazzien waren. Man traf sich also nicht im „Comeback“ in der Welserstraße, sondern man ging zu „Ludwig“, besser noch „Ludmilla“, wie der Wirt hieß. Inzwischen hat sich die Szene nach Mannheim-Neckarau verlagert. Aus Mannheim hat Kurator Wolfgang Knapp auch Plakate einer Toleranz-Kampagne für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. „Fußball nur für echte Kerle? Prima, dann her mit dem Ball“, fordert da ein schwuler Spieler auf. Die vielen Informationen in der Ausstellung, unter anderem zur Gesetzgebung, werden aufgelockert durch Filme etwa vom „Girls Go Movie“-Festival. „Homophobie ist auf Schulhöfen immer noch verbreitet“, weiß Regina Heilmann. Prominent im Stadtmuseum vertreten ist auch der Ludwigshafener Schwulen-Aktivist Hans-Joachim Seyfarth, der sich „Napoleon“ nannte. Der gebürtige Oggersheimer gründete 1975 in Mannheim „Scham“, kurz für Schwule Aktion Mannheim, und zog 1980 nach Berlin. Hier pflegte er einen exzentrischen Lebensstil, machte sich als Anti-Aids-Aktivist einen Namen und schrieb den autobiografischen Roman „Schweine müssen nackt sein. Ein Leben mit dem Tod“. Am 2. Dezember 2000 starb er mit 47 Jahren an Aids. Öffnungszeiten „Vom anderen Ufer? Lesbisch und schwul, BTTIQ in Ludwigshafen“ bis 22. Mai 2016 im Stadtmuseum Ludwigshafen im Rathauscenter. Montag bis Donnerstag 9-12 Uhr und 13.30-16 Uhr, Freitag 9-12 Uhr. Zur Ausstellung ist ein umfangreiches Begleitprogramm vorgesehen.

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