Ludwigshafen Dem Leben eine Bühne

„Ich habe nie gedacht, ich mache ein Jahr Pause“: Joachim Meyerhoff vor seinem Auftritt als Shylock im Theater im Pfalzbau in Lu
»Ich habe nie gedacht, ich mache ein Jahr Pause«: Joachim Meyerhoff vor seinem Auftritt als Shylock im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen.

Eine gute Stunde, bevor er als jüdischer Geldverleiher Shylock auf der Bühne des Theaters im Pfalzbau eine ungeheuer kraftvolle Performance in einer völlig auf ihn zugeschnittenen wilden Inszenierung liefert, sitzt Joachim Meyerhoff im Gläsernen Foyer und spielt eine ganz andere Rolle. Die des introvertierten Schauspielers mit Wollpullover, Schal und schwarzumrandeter Brille, die er nicht aufsetzt im Gespräch, aber manchmal in die Hand nimmt. Vielleicht, weil sie immer etwas zu tun haben müssen, die großen Hände des 1,90-Meter-Mannes, die sonst die meiste Zeit wild gestikulieren, einmal faltet er sie wie zum Gebet. So etwas wie eine intellektuelle Attitüde muss Joachim Meyerhoff sich gar nicht geben. Beim Publikumsgespräch nach der Vorstellung wird er später der einzige Schauspieler auf dem Podium sein, der vermittelt, sich nicht nur mit Shakespeares Text auseinandergesetzt zu haben, sondern auch mit der Rezeptionsgeschichte dieses ach so beladenen Werks. Meyerhoff, das wird selbst in diesem kurzen Gespräch vor der Vorstellung deutlich, ist einer, der hinterfragt. Er mag nicht hören, dass er sehr eingespannt ist („Ein Pferd ist eingespannt“) oder beschäftigt („Das ist so bürokratisch“). Also gut: Er macht viel. Seit 2005 ist er Mitglied des Burgtheater-Ensembles in Wien, wo er zu Hause ist, und gleichzeitig hat er ein Engagement am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Er spielt in Hamburg den „Kaufmann von Venedig“ und probt in Wien „Medea“, wo er ab dem 20. Dezember als Lucas zu sehen sein wird, Ehemann der Pharmazeutin Anna, die Medea in dieser modernen Version des Euripides-Stoffes. Für seinen Thomas-Melle-Soloabend „Die Welt im Rücken“ hat die Zeitschrift „Theater heute“ Meyerhoff 2017 zum „Schauspieler des Jahres“ gewählt. Wer ihn nicht als gefeierten Theaterstar kennt, kennt ihn vielleicht als Bestsellerautor. In bisher vier Büchern erzählt der 1967 im saarländischen Homburg „geborene, aber nicht aufgewachsene“ Meyerhoff scheinbar aus seinem Leben. „Vieles ist auf verschiedenen Ebenen der Wahrheit geschrieben“, sagt er, „und es spielt gerade damit, den Anspruch von Authentizität zu erheben.“ Nach Bänden, die von der Kindheit auf einem Psychiatriegelände in Schleswig, vom Aufenthalt als Schüler in Amerika, vom Unfalltod des Bruders, vom Besuch der Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München und – wunderbar grotesk – vom Leben bei den trinkfesten Großeltern erzählen, erschien zuletzt „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ über einen Mann, der drei Frauen in drei Städten gleichzeitig hat. Meyerhoff lacht laut bei der Idee, es könnte bei ihm aktuell so sein: „Weit davon entfernt. Ich habe drei Kinder gleichzeitig.“ Der Protagonist in Meyerhoffs Büchern scheitert permanent. Der Junge, der zum Rutsch-Festival mit ungeheuer unpraktischen Lederhosen fährt. Der Heranwachsende bei seinem ersten Besuch bei einer Hamburger Prostituierten. Der Jungschauspieler am Stadttheater Bielefeld. „Er ist kein Zyniker, er hat eine Sehnsucht danach, die Dinge gut zu machen“, sagt er über seinen Romanhelden. Mit dem man deswegen genauso gerne lacht wie weint. Meyerhoff schreibt mit derselben Offenheit wie über alles andere über die ihm nahestehenden Menschen, die gestorben sind. „Es gibt Momente, in denen ich das fragwürdig finde“, sagt er. „Wenn man etwas ausformuliert, wird es faktisch. Und oft ist die Erinnerung gerade da schön, wo sie diffus ist.“ Mit dem Öffentlichmachen der privaten Trauer werden, sagt er, die Menschen gleichzeitig ein Stück nähergeholt und von ihm weggeschoben. Bevor es die Bücher gab, hat Meyerhoff bei eigenen Abenden im Wiener Burgtheater unter dem Titel „Alle Toten fliegen hoch“ Anekdoten aus seinem Leben erzählt. Sein Œuvre umfasst etliche Shakespeare-Inszenierungen, viele andere Klassiker – und die Filme „Rubbeldiekatz“ und „Bibi & Tina: Tohuwabohu Total“. Damit tat er seinem Freund, dem Regisseur Detlev Buck, einen Gefallen und war der Held in der Klasse seiner Tochter. „Ich mache das alles ja sehr gerne“, sagt er. „Deswegen habe ich auch nie gedacht, ich mache ein Jahr Pause. Es ist besser, wenn es eingewoben ist.“ Manchmal bleibt auch einem Tausendsassa Zeit für Privates. Am Sonntag hat er vor seiner Vorstellung im Theater im Pfalzbau seinen besten Freund in Mainz besucht. Am Tag davor ist er durch Ludwigshafen gelaufen, stundenlang und ganz allein. „Ich finde es“, sagt er und spielt die Rolle des bescheidenen Wollpulliträgers zum Abschluss noch einmal sehr überzeugend, „sehr interessant hier.“

x