Mannheim Das Nationaltheater zeigt eine ungewöhnliche Lesart von Mozarts „Entführung aus dem Serail“

Szene aus der neuen Mannheimer „Entführung“.
Szene aus der neuen Mannheimer »Entführung«.

Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ gehört zu den bekanntesten Werken des Musiktheater-Repertoires. Doch die Version, welche das Nationaltheater beim Festival Mannheimer Sommer zeigen wird, wird so manche Erwartungshaltung enttäuschen. Die Koproduktion mit den Theatern in Genf und Luxemburg ist eine echte Überraschung.

Es hätte eigentlich der Durchbruch für das Genie Wolfgang Amadeus Mozart sein müssen, hätte die lang ersehnte Festanstellung am Wiener Hof Joseph II. bedeuten müssen. Doch so erfolgreich die Uraufführung des Singspiels „Die Entführung aus dem Serail“ am 16. Juli 1782 im Burgtheater zu Wien auch war, die Anstellung blieb bekanntermaßen aus. Der Auftraggeber des Werkes, eben Joseph II, konnte sich nicht dazu durchringen, Mozart eine diesem angemessene Stelle anzubieten.

Orientbegeisterung im 18. Jahrhundert

Das Stück zeugt einerseits von der Orient- und Türkenbegeisterung der Mozart-Zeit, und das obwohl es erst 100 Jahre her war, dass die Belagerung Wiens durch die osmanischen Heere für Angst und Schrecken gesorgt hatten.

Musikalisch ist die deutschsprachige „Entführung“ mit Dialogen auch als Kampfansage an die italienische Oper zu sehen, die damals eine Art Monopol in Wien hatte – man denke nur an Mozarts Erz-Rivalen Antonio Salieri. Von dem Italiener wurden andauernd neue Werke uraufgeführt, für Mozart blieb da nur wenig Platz.

Zwar ist die Gattung des Singspiels durchaus der Oper unterlegen, meist versuchten sich auch eher weniger begabte Komponisten daran. Aber unter den Händen des Genies Mozart wurde aus dem Singspiel eine vollgültige deutsche Oper, die von immenser Bedeutung für die weitere Entwicklung der Gattung in Deutschland war. Man merkt dem Stück an, was Mozart bei seinem Besuch in Mannheim von der dortigen Hofkapelle Carl Theodors gelernt hatte. Der Stil der Mannheimer Schule, jenes starre Formen sprengende, in seiner Wirkung regelrecht aufwühlende Musizieren durchzieht auch die „Entführung“.

Die Regie interessiert sich nicht für den historischen Hintergrund

Der historische Hintergrund, das orientalische Kolorit der Vorlage interessiert den 1957 geborenen belgischen Theaterregisseur Luk Perceval nicht (für Mannheim hat Fanny Gilbert-Collet die Produktion aus Genf neu eingerichtet). Perceval hat zusammen mit Aslı Erdoğan neue Dialoge verfasst, die dem Stück jeden derb-volkstümlichen Humor austreiben. Übrig bleibt eine harte, fast schon brutale Geschichte einer Gefangennahme.

Gefangen sind die Menschen in dieser Deutung der „Entführung“ jedoch ausschließlich in ihrer eigenen Existenz, aus der sie nicht ausbrechen können, um sich einem Gegenüber zu öffnen. Das Ewigkeitsthema der Oper, die Liebe, spielt in dieser Lesart durch Luk Perceval im Grunde keine Rolle mehr. Weil die Menschen, die weit über das Personal des Singspiels hinausgehend in einer Choreographie die Bühne bevölkern, verlernt haben, sich selbst zu lieben. Und ganz ehrlich: Wer glaubt schon an ein Happy End in der Oper? Am Ende ist mindestens die Frau, also der Sopran (abgesehen von „Carmen“) tot. Und wir holen unsere Taschentücher heraus, und weinen um Mimi („La Boheme“), Manon („Manon Lescaut“) oder Violetta („La Traviata“).

Ein Stück voller Gewalt – die man nicht hört

Mozarts „Entführung“ aber will uns vorgaukeln, als könnten sich Gewaltakte wie Menschenraub und Sklavenhandel in der passenden Dur-Tonart in Wohlgefallen auflösen. Dieses ganze Stück strotzt ja nur so vor Gewalt, Unterdrückung und Brutalität, auch wenn das nicht immer in der Musik zu hören ist. Man kann diese Brutalität drastisch darstellen, wie das Calixto Bieito in seiner Inszenierung für die Komische Oper Berlin einst getan hat. Oder man kann, wie Luk Perceval, die ganze Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit des Menschen thematisieren.

Alle Figuren bekommen ein Alter Ego zur Seite gestellt. Sie selbst, nur eben 30, 40 Jahre älter. Nichts hat sich geändert, schon gar nicht gebessert. Im Gegenteil. Belmontes älterer Doppelgänger verzweifelt geradezu, wenn sich der Sänger in Liebesbegeisterung aufschwingt. Und die Person, der all diese Begeisterung gegolten hat, also Konstanze, sie zweifelt offenkundig Jahrzehnte später, ob es vielleicht nicht doch die bessere Lebensentscheidung gewesen wäre, sich für den vermeintlichen „Entführer“ Bassa Selim zu entscheiden. Doch hier greifen dann die beiden schlimmsten Wörter, die man zu sich selbst sagen kann: „zu spät“. Die Chance ist für immer vertan. Die Entführung aus dem Gefängnis der eigenen Unzulänglichkeiten misslingt.

Termine

Premiere ist am Samstag, 18. Juni. Weitere Termine am 23., 26., 28. Juni sowie am 2. Juli.

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