Ludwigshafen Zauberhafte Märchenwelt

Ein lyrisches Ereignis: Carolin Callies.
Ein lyrisches Ereignis: Carolin Callies.

Als vor vier Jahren Carolin Callies’ erster Gedichtband „fünf Sinne & nur ein besteckkasten“ erschien, wurde er begeistert aufgenommen. Vom „lyrischen Ereignis des Jahres“ schwärmte ein Kritiker, andere schlossen sich ihm an. Mit einem Satz war die unbekannte Dichterin in den Olymp aufgestiegen. In diesem Frühjahr nun ist ihr zweiter Gedichtband erschienen. Er heißt „schatullen & bredouillen“ und setzt nicht nur thematisch den Erstling fort. An sprachlicher Kraft, Einfallsreichtum und erlesenen Bildern lässt er wiederum nichts zu wünschen übrig. Die vier Jahre, die seit dem Erscheinen der ersten Sammlung verstrichen sind, erscheinen Carolin Callies alles andere als lang. Während manch ein Bewunderer es offenbar gar nicht erwarten konnte, weitere Gedichte von ihr zu lesen und vielleicht schon befürchtete, der neue Stern sei rasch wieder verglüht, erscheint ihr selbst der Zeitraum zwischen den beiden Büchern „fast schnell“. Denn für „fünf sinne & nur ein besteckkasten“ habe sie eine Auswahl aus Gedichten getroffen, die im Verlauf von zehn Jahren entstanden seien. Außerdem sei die Zeit zu berücksichtigen, die das Buch bis zum Druck braucht, wie die gelernte Verlagsbuchhändlerin weiß. Außerdem feilt sie ausgiebig an ihren Gedichten. Von manchen, verrät sie, gebe es 15 bis 20 klangliche und rhythmische Variationen. Zum besseren Verständnis der sehr komprimierten, an Assoziationen und ungewöhnlichen Bildern reichen Gedichte ist es hilfreich zu wissen, dass ihr Arbeitstitel „Legenden vom Raum“ hieß. Auf Wunsch des Schöffling Verlags sei er jedoch „schatullen & bredouillen“, nach einer Wendung in dem Gedicht „bewohnbare kästen“, genannt worden. Nach dem Studium der Germanistik und der Medien- und Kommunikationswissenschaften in Mannheim, erklärt Callies, habe sie sich mit dem Gedanken getragen, eine Dissertation über das Thema des unheimlichen Raums in der Literaturgeschichte zu schreiben. Der Wald etwa sei seit der Romantik ein solch unheimlicher Raum, in sich abgeschlossen und fernab der Zivilisation. Unheimliche Räume begegneten einem aber auch bei Edgar Allan Poe, Franz Kafka oder Stephen King. Der Körper, als Behältnis aufgefasst, könne Heimat sein, aber auch Gefängnis wie bei einer Krankheit. Der weibliche Körper insbesondere, sagt die Mutter eines kleinen Mädchens, könne unter räumlichem Aspekt wie eine Höhle für ein anderes Lebewesen aufgefasst werden. Der neue Gedichtband setzt so die Themen des ersten fort: Körperlichkeit und Vergänglichkeit, Weiblichkeit und Feminismus. „mein bauch ist mein alles an welt“ heißt bezeichnenderweise eines der Gedichte, das unmissverständlich klarstellt, dass Carolin Callies’ keine kopflastige Lyrik schreibt. „räuber & gedärm“ heißt ein anderes, dessen Titel mit Erwartungen in feststehenden Redewendungen spielt, um sie auf der Stelle zu zerstören. Der Gebrauch des kaufmännischen Und, wie er schon im ersten Band gebräuchlich war und wie ihn der zweite Band schon im Titel fortführt, ist bei der Dichterin keineswegs als Entgegenkommen an den kommerziellen Zeitgeist zu verstehen. Vielmehr dient dies kaufmännische Und dem Hinweis, dass hier zwei sehr weit auseinanderliegende Dinge enggeführt sind. Von solchen gewitzten Kombinationen, von Anspielungen, Rätselbildern und Sprachspielen wimmelt es in dem Band. Gleich das erste Gedicht „schöne ware feil“ greift die Worte auf, die die böse neidische Königin, als alte Krämersfrau verkleidet, zu Schneewittchen spricht, um sie mit einem Schnürband zu ersticken. Das Gedicht „das tapfere schneiderlein“ trägt das Märchenmotiv in Carolin Callies’ verzauberter und zauberhafter Welt im Titel. Verspielte Lust an der Sprache war denn auch entscheidend für die Hinwendung schon der Jugendlichen zur Lyrik. Else Lasker-Schüler insbesondere, die Expressionisten allgemein haben es ihr angetan. Und zwei Gedichte in „schatullen und bredouillen“ sind Friederike Mayröcker und Ernst Jandl gewidmet, Hinweise auf eine eigene Welt der Poesie und das Spiel mit Worten. Als programmatisch für den gesamten Band kann das letzte Gedicht namens „kleine grammatologie“ gelten. „ich gerinne nicht zu text, nein, ich gerinne nicht zu text“, heißt es da abwehrend, fast selbstbeschwörend. Das Wort Text wird hier in seiner ursprünglichen Bedeutung als nicht leicht auflösbares Gewebe genommen, um es dann zu verfremden. Der Eingangssatz „nein, das steht hier nicht geschrieben“ – eine Warnung an den voreiligen Interpreten – wird erst variiert zu „nein, das weht hier nicht gestieben“ und schließlich zu „nein, das lebt hier, nichts gemieden“. Das Gewebe unserer erstarrten Wahrnehmungen aufzulösen, der Welt und ihren Phänomenen ihr Erstaunliches wiederzugeben und so zum Nachdenken anzuregen, darin besteht Carolin Callies’ Kunst. Termin Lesung am Donnerstag, 20. Juni, um 17 Uhr auf dem Inselsommer zusammen mit der Band Elda.

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