Ludwigshafen Tim Bendzko im Interview: "Brauche Langeweile im Hirn"

„Ich freue mich sehr, nach Ludwigshafen zu kommen, und über jeden, der beim Konzert vorbeischaut und mit meiner Band und mir ein
»Ich freue mich sehr, nach Ludwigshafen zu kommen, und über jeden, der beim Konzert vorbeischaut und mit meiner Band und mir einen schönen Abend verbringt. Ich hoffe natürlich auf gutes Wetter. Dann steht der Freude nichts im Wege«, sagt Tim Bendzko an seine Fans gerichtet. Um die 10.000 Besucher werden am 22. Juni auf dem Berliner Platz erwartet.

Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Sänger – und achtet auf seine Ernährung. Als wir Tim Bendzko telefonisch in Berlin erreichen, hat er gerade gefrühstückt: „Püriertes Gemüse mit ein paar Körnern drauf, sehr gesund“, sagt er. Danach beginnt die erste Probe für seine Sommertour, die ihn auch nach Ludwigshafen führt. Ein Gespräch über das Konzert, den Echo-Preis und die mediale Dauerberieselung, die Bendzko „richtig auf den Keks“ geht.

Herr Bendzko, ich komme gerade aus einer Online-Schulung. Da wurde eine Zeile aus Ihrem größten Hit zitiert. Können Sie sich vorstellen, warum?

Äh, mmh – eigentlich nicht. „Nur noch 148 Mails checken“ – das dürfte Ihnen bekannt vorkommen. Damit wollte der Referent ausdrücken, dass die Leute immer weniger Zeit haben, Nachrichten zu lesen, weshalb sie speziell im Netz kurz und knackig sein müssen. Diese Rastlosigkeit unserer Gesellschaft – treibt Sie das auch um? Ja, das nervt mich auch ein bisschen. Das permanente Onlinesein und die Aufgeregtheit, dass das Smartphone ständig piepen könnte, das geht mir tatsächlich richtig auf den Keks. Ich habe Ende letzten Jahres damit angefangen, dem entgegenzuwirken. Wie denn? Mein Telefon klingelt tatsächlich nur noch, wenn mich jemand anruft. Die Benachrichtigungsfunktionen für SMS und E-Mail habe ich abgestellt. Das sehe ich alles nur noch, wenn ich gezielt danach schaue. Und das versuche ich auf ein paar Momente des Tages zu verteilen. Das ist ja nichts weiter als eine Sucht, die wir da mittlerweile alle in uns haben. Ich bin ein großer Fan davon, Dinge bewusst und mit Absicht zu machen, und nicht nur, weil mein Körper danach dürstet. Dazu passt Ihr Song „Keine Maschine“. Das kann man in die Richtung interpretieren. Inzwischen sind wir ja alle wie Cyborgs, diese Mischwesen aus Mensch und Maschine, wenn mir mit Handys durch die Gegend laufen. Die Dinger übernehmen Aufgaben, die normalerweise unser Hirn erledigen sollte. Soziale Medien wie auch Mobiltelefone sind per se nichts Schlechtes. Entscheidend ist der Umgang damit. Der wird viel zu wenig hinterfragt. Der Klassiker ist ja, wenn man im Bus, in der Bahn oder im Flugzeug sitzt oder Menschen irgendwo warten: Neun von zehn halten Smartphones in der Hand und glotzen drauf. Man gönnt sich kaum noch Phasen, um das Hirn auszuhängen. Genau. Ich bin überzeugt davon, dass man Langeweile braucht, um nachdenken zu können. Wenn das Hirn die ganze Zeit abgelenkt ist, kann man keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich kann dann jedenfalls keinen Song schreiben. Ich brauche die Langeweile in meinem Hirn. Es kann einfach keine kreative Leistung vollbringen, wenn es permanent beschäftigt ist. Das liegt in der Natur der Sache. Mit „Nur noch kurz die Welt retten“ sind sie 2011 durchgestartet. Aktuell wäre ein Weltretter nicht schlecht, wenn man die globalen Krisen verfolgt, wie etwa den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Ich glaube, dass es derzeit nicht schlimmer ist als vor 20 oder 30 Jahren. Ich habe das Gefühl, seit ich auf der Welt bin, wird behauptet, dass es gerade so schlimm ist wie noch nie. Ich verfolge die Nachrichten und bin oft am Kopfschütteln. Gleichzeitig frage ich mich, ob ich alles dazu weiß. Wie meinen Sie das? Ich habe neulich die Sendung „Hart, aber fair“ gesehen, in der es unter anderem darum ging, dass Donald Trump die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt hat. Bis zu einem gewissen Grad kann ich die Gegner und Befürworter verstehen. Leider bewegen sich beide Seiten nicht aufeinander zu. Ich hoffe, dass für dieses Problem irgendwann eine Lösung gefunden wird, wobei die Zeichen derzeit nicht gut stehen. Und was Trump da anstellt, ist aktuell kaum einzuordnen. Inwiefern? In der Sendung wurde sein Annäherungsversuch an Nordkorea etwas abgetan, nach dem Motto: Da ist ihm mal was gelungen. Doch wenn wirklich das passiert, was sich da gerade ankündigt, dann wäre das ziemlich krass, dass er das geschafft hat. Das müsste man dann auch anerkennen. Mal ganz unabhängig davon, dass es von außen betrachtet immer so aussieht, als sei Trump wahnsinnig und müsste weggesperrt werden. Es ist schwer zu beurteilen, ob sein Handeln mittel- oder langfristig vielleicht sogar positive Auswirkungen hat. Von Trump zur „Trikot-Affäre“: Was sagen Sie denn als ehemaliger Jugendspieler von Union Berlin dazu, dass die Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan zuletzt medienwirksam mit dem türkischen Präsidenten posiert haben? Ich sag’s mal so: Was ich daran merkwürdig finde, ist die Naivität, mit der beide da herangegangen sind. Ich habe auch den Kommentar gelesen, den Gündogan dazu abgegeben hat, dass das nicht politisch motiviert gewesen sei. Das glaube ich ihm sogar. Aber es war doch klar, dass das Foto in der Türkei ausgeschlachtet und Erdogan versuchen wird, Profit daraus zu schlagen. Witzigerweise war ich mal in einer ähnlichen Situation. Erzählen Sie. Das hatte nicht diese Dramatik. Aber mich wollte mal ein Politiker treffen. Das habe ich abgelehnt, weil das mitten im Wahlkampf war. Da muss man dann halt mal zurückstecken, weil das natürlich sofort instrumentalisiert worden wäre. Ich brauche Sie wahrscheinlich nicht fragen, welcher Politiker das war? Nein (lacht), das muss ich nicht in der Zeitung lesen. Was Özil und Gündogan gemacht haben, war einfach unglaublich naiv. Das war kein Riesenfehler, aber das wird jetzt natürlich sehr aufgebauscht. Da freut sich die Presse wieder, weil sie zuletzt nichts Negatives über den Eurovision Song Contest berichten konnte. Die Presse – das ist ein sehr pauschaler Vorwurf. Außerdem haben Nationalspieler eine gewisse Verantwortung, der sie nicht gerecht werden, wenn sie mit einem Despoten auftreten. Das ist mir ein bisschen zu einseitig. Gündogans Familie stammt aus der Türkei, daher ist es für ihn so etwas wie eine Ehre, den Chef des Landes zu treffen. Ich kann schon nachvollziehen, dass man da bei einer Einladung nicht Nein sagt. Naiv ist es trotzdem, weil er nicht irgendein Fußballer ist, sondern deutscher Nationalspieler. Reden wir über Musik – und den Echo-Preis, den Sie 2012 und 2014 verliehen bekommen haben. Was sagen Sie zu dem Theater rund um die Rapper Kollegah und Farid Bang? Stellenweise sind deren Texte antisemitisch. Die Diskussion, was künstlerische Freiheit ist und was nicht, verfolgt uns ja schon ein paar Jahre. Und wie ist Ihre Meinung dazu? Ich kann beide Seiten total verstehen. Aber selbst wenn ich mir als Künstler denke, das, was ich da zusammenreime, passt unter den Mantel der künstlerischen Freiheit – mit ein bisschen Anstand lässt man das einfach weg. Andererseits: Allen, die das als großen Skandal bezeichnen und im Nachhinein ihre Preise zurückgeben, sei gesagt: Wenn ihr das so schlimm findet, dann solltet ihr einfach nicht zu der Veranstaltung hingehen. Etwas Publicity, vielleicht sogar eine Trophäe absahnen und sich dann aufspielen, um ein bisschen Presse zu kriegen – das verstehe ich nicht. Ich kann verstehen, dass man die Texte verurteilt. Ich finde es auch unglaublich, solche Zeilen in einen Text zu packen, wenn man weiß, dass das viele junge Menschen hören. Aber wenn mich das so sehr stört, dann sollte ich der Verleihung einfach fernbleiben. Sie haben den ESC erwähnt. Haben Sie die Show in Lissabon verfolgt? Verfolgt wäre übertrieben. Ich habe den Schnelldurchlauf angeschaut und fand es ganz lustig, weil einige Lieder, die ich ganz weit vorne gesehen habe, auch wirklich vorne gelandet sind. Das passiert mir sonst nie, weil die Sachen, die ich richtig gut finde, meistens Vorletzter oder Letzter werden. Und das musikalische Niveau? Ich fand den Contest überraschend abwechslungsreich. Da gab’s ganz unterschiedliche Songs und zwei, drei, die ich schon vom letzten Jahr kannte … (lacht). Abgesehen davon war das alles sehr nett. Ich freue mich natürlich total, dass Michael Schulte so gut abgeschnitten hat. Der Song ist stark, der Text ist überragend. Da ist auch ein bisschen Schadenfreude in mir, dass die Medien nun nicht wochenlang ablästern können, wie nach den Misserfolgen in den Vorjahren. Micha ist Vierter geworden. Das ist dann nur einen kleinen Artikel wert … Ihr Bild von der Presselandschaft scheint nicht das beste zu sein. Auf so etwas bezogen nicht. Ich habe das Gefühl, dass manche Medien sich richtig freuen, wenn sie auf jemandem herumhacken können, der eh schon am Boden liegt. Haben Sie schon mal damit geliebäugelt, sich für den ESC zu bewerben? Es war tatsächlich mal ein Thema. Ich finde die Vorstellung ganz romantisch, mit einem deutschsprachigen Lied anzutreten. Aber sich so einer Aufgabe in einem solchen Medienumfeld zu stellen, schadet einem im Endeffekt. Obwohl ich eigentlich total der Wettkampftyp bin. Mir macht das Spaß. Der Bundesvision Song Contest, das war genau mein Ding. Was den ESC angeht, hat man sich’s mittlerweile ein bisschen damit verscherzt, darauf zu hoffen, dass sich da mal ein Etablierter heranwagt. Die Sache mit Xavier Naidoo lief ja damals auch mehr als unglücklich. Apropos etablierte Künstler: Wenn man Ihren Namen googelt, tauchen unter der Rubrik „Wird auch of gesucht“ unter anderem Max Giesinger, Lena und Mark Forster auf? Können Sie mit deren Musik etwas anfangen? Hin und wieder schon. Giesinger im Jahr 2013 und Lena drei Jahre später sind bereits beim Stadtfest aufgetreten. Wie steht’s bei Ihnen mit der Vorfreude aufs Open-Air? Klar freue ich mich darauf. Mit Lena habe ich bereits viel zusammen gemacht. Die ist mir schon oft über den Weg gelaufen. Tatsächlich finde ich viele von ihren Sachen sehr gut. Lustigerweise meistens Titel, die nicht so erfolgreich waren. Auch Mark und Max begegne ich regelmäßig. Das ist aber keine Musik, die ich privat höre. Was hören Sie privat? Eher so Big-Band-Kram, so Frank-Sinatra-Zeug. Musikalisch und gesanglich gefällt mir das einfach gut, speziell das Entertainige. Da wird nicht einfach so dahingesungen. Das ist eine ganz andere Art und Weise der Präsentation. Das mag ich sehr gerne. Steht Ihr Konzertprogramm für Ludwigshafen schon? Wir werden natürlich alle Hits und ein paar Songs vom aktuellen Album spielen. Höchstwahrscheinlich werden wir auch den einen oder anderen neuen Song testen. Sommerkonzerte sind immer ein gutes Pflaster, um das auszuprobieren. Nachher beginnen die Proben. Von daher fängt’s bei mir schon an zu kribbeln. Fiebern Sie auch schon der Fußball-Weltmeisterschaft entgegen? Ich bin ein großer Fan, total dabei und schaue mir das natürlich an. Ich bin übrigens immer noch happy über die Bundesliga-Ergebnisse vom letzten Spieltag: Der Hamburger SV ist abgestiegen, Hoffenheim hat Dortmund noch vom dritten Platz verdrängt, Leipzig ist im Europacup – so habe ich mir das vorgestellt. Und Bayern ist Meister, alles gut. Und Ihr Bauchgefühl für die WM? Das ist für mich ein bisschen das Nico-Rosberg-Phänomen. Warum? Woher soll die deutsche Elf die Motivation nehmen, den Titel zu verteidigen? Es wird schwer, die Leistung von 2014 erneut abzurufen. Der Kern der Mannschaft ist ja der gleiche. Vielleicht täusche ich mich auch und bin noch nicht richtig in WM-Stimmung. Ich hoffe natürlich, dass Deutschland gewinnt, auch wenn danach alle wieder glauben, dass wir den besten Fußball der Welt spielen, was wir aktuell einfach nicht tun. Ich denke, die Spanier werden es am Ende reißen. Kicken Sie in Ihrer Freizeit noch? Nein. Das ist eine dumme Idee, wenn man nicht regelmäßig trainiert. Da verletzt man sich. Und wenn ich mir die Kreuzbänder reiße, wäre das schwierig mit den Konzerten. Genauso unverantwortlich wäre es, jetzt mit dem Fallschirmspringen anzufangen. Ich laufe viel oder fahre Rennrad. Russland oder 2022 Katar – sind das die richtigen WM-Gastgeberländer? Das ist der große schmale Grat zwischen sportlichem Wettbewerb und Wirtschaftsinteressen. Das verschiebt sich im Moment in die falsche Richtung. Ich finde es absurd, was da passiert, auch mit Blick auf die Montagsspiele in der Bundesliga. Keine Ahnung, wohin die Reise gehen wird. Die Reise seit Ihrem Karrierestart – ist die in die richtige Richtung gegangen? Ich bin eins zu eins den Weg gegangen, den ich mir ausgemalt habe. Ich wollte aus eigener Kraft Musiker werden und nicht, dass irgendeiner daherkommt und sagt, ich mache dich jetzt zum Star, schreibe dir deine Songs und ziehe dir lustige Klamotten an – dann wird das schon. Es war mir wichtig, dass das mit Songs passiert, die aus mir herauskommen. Musik ist jetzt mein Beruf – der Grat zwischen wirtschaftlichen und künstlerischen Interessen ist da ähnlich schmal wie beim Fußball. Die Frage ist, wie man das miteinander vereint. Und wie funktioniert das? Mein Glück war, dass das bei mir von Beginn an sehr erfolgreich gelaufen ist und ich jetzt den Luxus genieße, auch mal Nein sagen zu können. Ich mache wirklich nur die Sachen, die ich gut finde. Daher kann ich auch Angebote ablehnen, für die ich zwar viel Geld bekommen würde, die mir aber nicht gefallen. Das empfinde ich als totales Privileg.

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