Ludwigshafen Panische Suche nach geistiger Wahrheit

Walter Gramatté, Mädchen am Tisch (Samowar), 1922.
Walter Gramatté, Mädchen am Tisch (Samowar), 1922.

Gänzlich unbekannt ist der Maler Walter Gramatté nicht. 1989 gab es in der Münchner Staatsgalerie moderner Kunst eine große Retrospektive, die aber folgenlos blieb. Seit 1994 liegt ein Werkverzeichnis der Ölgemälde vor. Zum 100. Geburtstag des Künstlers gab es in München eine Ausstellung der Selbstbildnisse. Den aktuellen Anlass, die Geschichte dieses Malers zu erzählen, gibt jetzt eine Ausstellung in der Mannheimer Galerie Döbele.

Walter Gramatté wurde 1897 als Sohn eines Bäckers in Berlin geboren, er starb 1929 im Alter von gerade mal 32 Jahren in einer Hamburger Privatklinik an Darmtuberkulose. Von den 123 bekannten Ölgemälden sind heute noch 96 nachweisbar, dazu kommen 240 Aquarelle, 400 Zeichnungen und 240 Druckgrafiken. Bei den Lithographien handelt es sich um vom Künstler selbst abgezogene Zustands- und Probedrucke sowie Farbvarianten, die zum Teil zusätzlich aquarelliert wurden und damit also den Status eines Unikats für sich beanspruchen können. Mit über 200 Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken ist die Zahl der gesicherten Selbstbildnisse innerhalb des Schaffens erstaunlich hoch. In ihrer bohrenden, stets frontal ausgerichteten Intensität wirkt diese Werkgruppe fast beängstigend. Dafür gibt es gute Gründe. Walter Gramatté zog als 17-jähriger Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg; wie viele andere kehrte er aus dem Krieg krank und desillusioniert zurück. Selbstzweifel, Skepsis und Existenzangst waren die Begleiter seiner wenig mehr als zehn Jahre währenden Künstlerexistenz. Gramatté wird allein schon aus biografischen Gründen der „verschollenen“ zweiten Expressionistengeneration zugerechnet. Heißt: Keine Aufbruchstimmung, keine gestisch freie Bildsprache, kein schönes freies Leben an den Moritzburger Seen oder sonst wo. Gramattés Kunst schürft fast panisch nach geistiger Wahrheit, letztendlich um die Richtigkeit des Bildes. Damit konnte er, der mit prominenten Künstlerkollegen wie Schmidt-Rottluff und Erich Heckel befreundet war, eigentlich nur scheitern. Wie er sich weiter entwickelt hätte, man weiß es nicht. Dazu war sein Leben zu kurz. Kaum tourt eine Gedächtnisausstellung durch Deutschland, wird Gramatté als sogenannter „Entarteter“ aus dem Verkehr gezogen. Mit seiner Witwe Sophie-Carmen (Sonia) Eckhardt-Gramatté (einer bedeutenden Komponistin, Pianistin und Geigerin) und ihrem zweiten Ehemann Ferdinand Eckhardt kommen die meisten Arbeiten zuerst nach Wien und 1953 nach Kanada. Eckhardt leistet dort als Direktor der Winnipeg Art Gallery Großes und kümmert sich mit zwei Stiftungen auch nachdrücklich um das Werk von Walter Gramatté und seiner 1983 verstorbenen Frau. Für die Galerie Döbele dürften die 14 Ölbilder, respektive Aquarelle, elf Beispiele von Gramattés Druckgrafik und den Mappen zu Büchners „Lenz“ und Gogols „Mantel“ umfassende Ausstellung eine Herzensangelegenheit gewesen sein. Nicht nur, weil das Interesse an Gramatté derzeit zu steigen scheint. So konnte die Galerie erst jüngst eine Nachtlandschaft von 1918 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vermitteln. Der Mann ist interessant genug für eine zugegeben nicht allzu üppig bemessene Tour d’horizon, in der sich Gramattés seltsam instabil zwischen allen Stühlen oszillierende Kunstpraxis wie unter einem Brennglas studieren lässt. Annonciert wird die kleine Bilderschau als „magischer Realismus“. Das überzeugt nicht, ist allenfalls die halbe Wahrheit. Ebenso wie die etwas verlegene Zuordnung zu bestimmten Tendenzen in Pittura metafisica oder der Neuen Sachlichkeit. Gramatté hat viel experimentiert und ausprobiert, sprunghaft, meist „unter Schmerzen“ und selten so gelassen, wie es die Landschaften aus seinen spanischen Jahren nahelegen könnten. Ein Werk im emphatischen Sinn des Wortes hat er nicht hinterlassen, aber das ist eine Eigenschaft, die er mit manchem teilt, den die Kunstgeschichte in der Rubrik „frühvollendet“ führt. Termine Gramatté-Ausstellung in der Galerie Döbele bis 28. April in Mannheim, Leibnizstraße 26. Geöffnet Donnerstag und Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag 12 bis 16 Uhr, sowie nach Absprache; www.doebele-kunst.de

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