Ludwigshafen Moritz Seider: „Eishockey ist eine verdammt ehrliche Sportart“

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Interview: Moritz Seider gilt als das derzeit größte Talent in Deutschland. Der erst 17 Jahre alte Rheinland-Pfälzer ist der zweitjüngste Profi in der Geschichte der Adler Mannheim. Dem Verteidiger wird eine große Karriere zugetraut und auch prophezeit. Ein Engagement in der nordamerikanischen Profiliga NHL ist wohl nur eine Frage der Zeit. Ein Gespräch mit dem Kapitän der deutschen U20-Nationalmannschaft über Volljährigkeit, Familie und Rolltore.

Wie sehr sehen Sie den 6. April kommendes Jahres herbei?Moritz Seider:

Es ist dann endlich der Tag, an dem ich 18 Jahre alt werde und das Gitter (am Helm, die Red.) weg kommt. Am Ende ist es aber nur ein Gitter, das mich von anderen Spielern unterscheidet. Letztlich ändert das nicht viel. Ich versuche schon die ganze Saison zu zeigen, dass ich mit den Jungs mithalten kann. Sie sagten es schon: Sie müssen dann nicht mehr mit Vollvisier spielen, weil Sie kein U18-Spieler mehr sind. Fühlt man sich dann auch optisch als vollwertiger Eishockey-Profi, wenn das Gitter weg ist? Soweit bin ich schon. Ich darf mich sicherlich schon Profispieler nennen. Herr Seider, Sie kommen aus Zell an der Mosel, sind dann nach Erfurt, haben dort Eishockey gelernt und gespielt. Erfurt gilt nicht gerade als Eishockey-Hochburg. Wie kam es dazu? Im Kindergarten gab es einen Schnupperkurs. Da standen alle Trainer auf der Tribüne und schauten zu. Meine Mutter und ich bekamen dann nach dem Schnuppertraining einen Informationszettel für Eishockey. Da sind wir dann am nächsten Tag hin. Ich war damals fünf Jahre alt. Die Profis standen schon auf dem Eis und warteten auf uns. Das hat mich so fasziniert, dass es bis jetzt keinen anderen Sport gibt, der mich so fasziniert. Wie kam dann der Kontakt mit Mannheim zustande? Vor gut fünf Jahren kamen wir in Kontakt. Ich wurde als Gastspieler eingeladen und war in den folgenden zwei Jahren bei Turnieren als Gastspieler dabei. Daher kannte ich die Jungs sehr gut. Irgendwann hieß es dann, dass Mannheim Interesse an mir hat. Ich habe es mir aber nicht leicht gemacht, denn Erfurt lag weit weg von Mannheim. Ich bin ein Familienmensch. Meine Eltern sagten, dass sie mitkommen. Das hat mir sehr viel bedeutet. Jetzt wohnen wir alle hier zusammen in Viernheim und haben eine tolle Zeit. Ich bin mittlerweile drei Jahre in Mannheim. Momentan kann es nicht besser laufen. War es für Sie als junger Mensch wichtig, dass Ihre Eltern mit in die Region kamen, weil so ein Stück Vertrautheit und Heimat mitgekommen sind? Ja, natürlich. Ohne meine Eltern hätte es diesen Schritt nicht gegeben. Eine Gastfamilie kam nicht infrage. Auch hat mich das Internat nicht überzeugt. Ich brauche die Familie in der Nähe. Würden Ihre Eltern dann mit nach Nordamerika gehen, wenn es mit der NHL klappt? Nein, soweit kommt es dann doch nicht. Da bin ich erfahren genug. Irgendwann muss man auch auf eigenen Füßen stehen. Als Besucher dürfen sie aber immer gerne kommen. Sie arbeiten hart an sich, legen Extraschichten ein. Von wem haben Sie diese Eigenschaft? Meine Eltern sind da prägend. Wenn man Leistungssportler ist, will man immer der Beste sein. Das geht nicht immer, aber man muss es versuchen. Ich versuche jeden Tag, wenn ich die Kabine, mich zu verbessern und eines Tages besser zu sein als die anderen. Wer ist für Sie die Person, mit der Sie sich kritisch über Eishockey auseinandersetzen, die Sie anspornt, die sie auf den Boden der Tatsachen zurückholt? Primär erst einmal ich selbst. Ich rede aber auch sehr viel mit den Jungs, da mit Marcel Goc. Er hat fast 700 NHL-Spiele absolviert. Er ist ein prägender Mensch für mich. Er versucht mir Tipps zu geben. Das finde ich schön, wenn so erfahrene Jungs mal auf einen so kleinen Jungen wie mich zustapfen und mit mir das Gespräch suchen. Eishockey ist eine schnelle, dynamische und harte Sportart. Was nehmen Sie daraus fürs Leben mit? Eishockey ist auch eine verdammt ehrliche Sportart. Man spielt fair. So ist es doch im Leben auch. Wenn man etwas Verbotenes tut, wird man dafür bestraft. Man soll ehrlich sein. Sollte mal etwas Unfaires passieren, gibt man sich nach dem Spiel die Hand, und alles ist wieder gut. Was man aber in der Kabine erlebt, das kann kein Außenstehender nachempfinden. Man arbeitet täglich mit so tollen Menschen zusammen, bekommt die coolsten Geschichten mit. Das sind Erfahrungen und Erlebnisse, die niemand einem nehmen kann. Ich glaube auch, dass das die Momente sind, die ein Spieler nach der Karriere vermisst. Es sind nicht die Championships oder Meisterschaften. Es ist die Zeit mit den Jungs. Diese versuche ich jeden Tag aufs Neue zu genießen und mir klar zu machen, mit welch tollen Jungs ich da in der Kabine sitze. Sie sagen, man muss sich abseits des Eises auch mit dem Sport befassen. Wie halten Sie da die Balance, denn wenn man zu viel macht, gerät man doch in einen Tunnel, oder? Mir macht es einfach Spaß, mich mit Eishockey zu beschäftigen. Jeder träumt doch von der NHL. Es gibt aber auch Tage, da geht man mit der Familie raus und mit Freunden. Das tut gut. Die Balance ist entscheidend. Ihr erstes Tor wurde in den neuen Medien sehr gefeiert. Lesen Sie alles, was in Facebook, Instagram usw. über Sie geschrieben wird? Nein. Immer nur das Gute (lacht). Ab und zu schneiden die Freunde Zeitungsartikel aus und bringen sie mir. Da freue ich mich schon darüber, wenn man sieht, wie sich Freunde für mich interessieren und meinen Werdegang verfolgen. Warum sind Sie gleich zu den Adlern gewechselt, zum derzeit vielleicht besten deutschen Klub? Genau deswegen. Die Adler stehen dafür, Meisterschaften gewinnen zu wollen. Ich kenne die Organisation ganz gut. Ich kann hier meine Schule zu Ende machen. Die Adler haben das perfekte Gesamtpaket angeboten. Eine Steigerung in Deutschland ist da schwer möglich. Ja, bis 2021 auf jeden Fall. Bis dahin gilt mein Vertrag. Was danach kommt, weiß ich nicht. Die Leute sind super nett. Derzeit passt alles wunderbar. Ist Mannheim eine Zwischenstation? Ja. Hoffentlich. Jeder träumt doch von der NHL. Aber das ist soweit weg. Das kann man nicht vorausplanen. Jetzt ist es meine erste Profistation und eine unglaublich schöne dazu. Sie verhehlen nicht, dass Sie in die NHL wollen. Es wird erwartet, dass Sie relativ früh, also hoch gedraftet werden. Warum haben Sie sich nicht in einer kanadischen Jugendliga probiert? Weil ich mich in Mannheim brutal gut vorbereiten kann, was einmal auf mich zukommt. Die kanadische Jugendliga ist eben nur eine Jugendliga und keine Profiliga. Hier in Mannheim arbeite ich jeden Tag mit Profis zusammen. Bei den Adlern spielen Jungs, die schon international so viel Erfahrung gesammelt haben. Hier kann ich mich super ausprobieren. Hier passt alles. Daher gibt es keinen großen Grund, dass ich mich woanders versuche. Beunruhigt Sie es nicht, dass Sie bei einem Draft ohne Einfluss und ohne Auswahlmöglichkeit als Spieler irgendwo hinkommen? Nein. Irgendwann ist man so froh, dass man es geschafft hat. Man sollte doch einfach stolz darauf sein, es gepackt zu haben. Da ist es egal, in welchem Team man spielt. Diese Saison waren bei den Spielen der Adler immer wieder Scouts aus der NHL auf der Tribüne (Chicago, Nashville). Werden Sie da im Vorfeld informiert? Teilweise. Ab und zu erfahre ich das hinterher. Da sollte aber nicht der Fokus drauf liegen. Ich konzentriere mich auf mich und die Mannschaft. Da spielen Scouts auf der Tribüne erst einmal keine große Rolle. Beeinflusst Sie die Anwesenheit der Scouts? Nein, in keinem Fall. Dafür bin ich erfahren genug und kann das abschätzen. Zunächst ist das Spiel wichtig. Erfurt, Mannheim, vielleicht die USA oder Kanada. Sind Sie ein Reisender? Das kann man so oder so sehen. Reisen ist doch etwas Schönes. Es ist etwas, was ich mir ausgesucht habe. Ich würde mich als Mensch bezeichnen, der unheimlich gerne seine Familie um sich hat, egal wo. Es geht darum, dass alles passt. Und derzeit ist das in Mannheim der Fall. Sie sind nach Christoph Gawlik der zweitjüngste Spieler der Adler, der beim Profiteam seine Einsätze bekommt. Was bedeutet Ihnen das? Gerne wäre ich der Jüngste gewesen. Am Ende ist es unglaublich schön, als 16-Jähriger ins Profigeschäft schnuppern zu dürfen und ein Teil des Ganzen gewesen zu sein. Das macht mich schon stolz. Am Ende ist es hoffentlich nur ein Einsatz von ganz vielen. Es ist ein toller Beigeschmack, wenn man mich und Mannheim in Verbindung bringt. Ihr Trainer Pavel Gross sagt, dass Sie Ihren Weg gehen werden. So ein Weg muss geplant sein. Wer plant Ihren Weg, schließlich gelten Sie als ein Ausnahmetalent. Da will ja jeder etwas abhaben… Im Moment gibt es nicht viele Leute, die mich beeinflussen können. Ich denke nicht so weit voraus. Wir wollen unsere Tabellenführung verteidigen und gute Play-offs spielen. Wir haben ein Ziel, das wir erreichen wollen. Was danach kommt, weiß ich jetzt nicht. Deshalb kann man da auch keinen Plan schreiben. Bekommen Sie immer noch Gänsehaut, wenn das Rolltor in der SAP-Arena hochgeht und Sie aufs Eis fahren? Auf alle Fälle. Da bekommen alle in der Mannschaft eine Gänsehaut. Es ist unglaublich, wenn das Tor aufgeht und man auf die Fankurve zuläuft. Alle jubeln einem zu, feuern einen an. Das ist ein tolles Gefühl. Ebbt so etwas ab? Nein. Selbst wenn man auf der Tribüne sitzen muss, so wie ich letztes Jahr, ist es trotzdem ein schönes Gefühl, wenn man erlebt, wie die Zuschauer aufstehen und klatschen. Das ist schon etwas Einmaliges im Eishockey. Bei der U20-WM in Füssen sind Sie ja in die A-Gruppe aufgestiegen. Da wurden Sie zum besten Verteidiger gewählt und waren als 17-Jähriger schon Kapitän. Ist das nicht etwas außergewöhnlich? Außergewöhnlich vielleicht schon, aber für unser Team war es keine große Ausnahme. Wir haben im Vorfeld über alles gesprochen. Die Jungs wussten alles, was passieren kann, wie es abläuft. Für die war das keine Überraschung. Wir waren eine unglaublich tolle Truppe. Wir hatten in den zehn Tagen so viel Spaß und viel unternommen. Das hat uns ausgezeichnet. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, dass ich zum besten Verteidiger gewählt wurde. Es war auch schön, Kapitän gewesen zu sein. Aber viel mehr freue ich mich, dass wir endlich aufgestiegen sind. All die Jahre zuvor sind wir knapp gescheitert. In Bremerhaven hat nur ein Punkt zum Aufstieg gefehlt. Wir haben es uns einfach verdient, wieder erstklassig zu spielen. Viele von uns dürfen auch nächstes Jahr noch spielen, und da fiebern wir alle schon hin. Wir wollen gegen die großen Nationen spielen und diese ärgern.

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