Ludwigshafen Interview mit bekanntem Theologe Pierre Stutz über Formen der Stille

Davor warnt Pierre Stutz: Ich kaufe schnell ein, damit ich danach Zeit zur Stille habe.
Davor warnt Pierre Stutz: Ich kaufe schnell ein, damit ich danach Zeit zur Stille habe.

„Stille in der Stadt“ heißt das zweiwöchige Projekt, an dem sich viele Einrichtungen in Ludwigshafen beteiligen. Pierre Stutz, bekannter Theologe, Autor und spiritueller Lehrer, eröffnet die Aktion am Montagabend. Er zeigt auf, welche Formen von Stille es gibt. Stutz fordert mehr Mut und erklärt dabei auch, warum sogar Computer meditieren.

„Stille to go“ ist Ihr Vortrag am Montagabend in der Melanchthonkirche überschrieben – kann man Stille „einfach so“ mitnehmen?

Sich Nischen der Stille schaffen, auch im Alltag, ist für mich eine Lebenskunst wie der Humor. Alles Wesentliche im Leben ist ein Geschenk, nicht einfach so machbar! Doch wir können es kultivieren, deshalb finde ich das Projekt „Stille in der Stadt“ in Ludwigshafen großartig. Es zeigt uns auf, dass wir viele Möglichkeiten haben, uns nicht einfach so leben zu lassen, einfach nur zu funktionieren. Welche Erfahrungen haben Sie mit Stille? Stille ist für mich not-wendend im Leben. Ich mag Begegnungen, in denen ich mich austausche mit anderen. Ich tanze gerne und gehe zwei- bis dreimal pro Monat ins Kino, ich engagiere mich in Friedensprojekten, und ich suche immer wieder die Stille. Sie ermöglicht mir, mein Leben zu vertiefen. In der Stille kann ich endlich sein, ohne Erwartungsdruck. Ich kann staunen und danken für all das Wunderbare, das mir täglich geschenkt wird. Dank der Stille renne ich vor dem Schwierigen nicht davon, sondern ich versuche, ihm auf den Grund zu gehen. Die Stille schafft Distanz zum Alltag, und wenn ich diese Leere aushalte, dann können sich mir neue Lösungen zeigen. Die Welt wird immer hektischer, immer lauter – ertragen wir überhaupt noch Stille? In uns ist eine tiefe Sehnsucht nach Stille. Die Ursehnsucht vor aller Leistung geliebt zu sein, gesegnet zu sein vor allem Tun! Auch Kinder und Jugendliche möchten endlich einfach abschalten können. Schwierig ist der Übergang von der Hektik in die Stille, weil wir dann sehr oft zuerst auf uns selbst zurück geworfen sind und eine Unruhe spüren können, ein diffuses Gefühl mit einer oft unbewussten, existenziellen Frage „Bleibt von mir was übrig, wenn ich nichts leiste?“ Warum ist Stille wichtig? Was suchen die Menschen in der Stille? Unsere Welt ist so komplex geworden, im Gestalten von Beziehungen, in der Schul- und Arbeitswelt und in den wichtigen gesundheitspolitischen Fragen. Die Gefahr, uns darin zu verlieren oder uns von der Ohnmacht und Resignation umzingeln zu lassen, ist groß. Unsere Welt braucht mehr denn je beherzte Menschen, die die uralte Lebensweisheit entdecken, dass sie in der Stille ihre Lebenslust und ihre Kreativität spüren können. Die Stille kann in uns unsere Widerstandskraft fördern, ein Leben lang ein Original zu sein, um nicht als Kopie der Sachzwänge sein Leben zu verpassen. Suchen die Menschen nicht vielmehr nach Ruhe anstatt nach Stille? Ja, die beiden Worte werden vielfältig verwendet. Stille können wir bewusst suchen und kultivieren, in der Meditation, im Verweilen in der Schöpfung. Sie fördert eine innere Ruhe, ich nenne dies engagierte Gelassenheit, die zu einer Lebenshaltung werden kann, indem ich auch in der gestressten, lärmigen Situationen ruhig bleiben kann, weil ich zuerst mal tief- und einatme, bewusst mit beiden Füssen auf dem Boden stehe. Muss man im Wald baden oder ins Kloster gehen, um Stille zu erleben? Intensive Zeiten und Events können uns erinnern, was wir zu einem glücklichen Leben brauchen. Ein besonderer Kurs, eine Auszeit wollen uns bestärken, auch mitten in der Geschäftigkeit des Lebens, eine gute Balance zu finden. Deshalb sind meine Bücher voll von Ermutigungen zu Atempausen für die Seele. Beim Aufstehen einen Moment stehen bleiben, während der Arbeitszeit sich regelmäßig strecken, beide Hände auf die Augen zu legen, tief ein- und ausatmen, tönt so banal, ist es jedoch nicht, weil wir jeden Tag neu konditioniert werden, noch schneller sein zu müssen. Wie können wir still werden? Achtsamkeit wünsche ich uns, tönt einfach, obwohl es auch für mich alltäglich eine Herausforderung ist: Beim Gehen zu gehen, beim Essen zu essen. Es bedeutet, die krankmachende Trennung zu überwinden: Ich kaufe schnell ein, damit ich danach Zeit zur Stille habe, ich schwimme schnell, damit ich danach endlich meditieren kann. Es gibt eine andere Möglichkeit: auch beim Einkaufen achtsam bei der Sache sein, schwimmen, joggen als Meditation zu sehen. Sogar der Computer zeigt mir diese Lebensweisheit auf: Wenn ich ihn einschalte, dann kriege ich gar nichts von ihm, bis er seine Programme hochgeladen hat, das heißt, er meditiert. Das stammt aus dem Lateinischen und heißt: Er sammelt sich zuerst. Wir Menschen meinen leider, wir könnten diesen Prozess überspringen, was fatal ist für unsere Gesundheit. Kirchen sind für viele Menschen ein Ort der Stille und werden im Urlaub gerne besichtigt. Gleichzeitig gehen aber die Besucherzahlen der Gottesdienste zurück. Wie erklären Sie dieses Phänomen? Eine höchst komplexe Frage. Wer sucht, der findet auch in den Kirchenprogrammen vielfältige Angebote, gerade auch zur Stille, zum meditativen Tanz, zur Schweigemeditation, zum Engagement für eine zärtlich-gerechtere Welt. Zugleich plädiere ich seit über 20 Jahren für mehr Stille in den Gottesdiensten. Wir kommen ja meistens übervoll mit Eindrücken in einen Gottesdienst, auch mit vielen bedrückenden Alltagserfahrungen. Deshalb finde ich es nicht sinnvoll, im gemeinsamen Feiern zu viele Worte zu verlieren. Gerade weil mir auch das biblische Wort wichtig ist, empfehle ich ein längeres Schweigen nach dem Vorlesen eines Textes, damit er wirklich in uns wirken kann. Termin Vortrag „Stille to go“ am Montag um 19 Uhr in der Melanchthonkirche, Eintritt: zwölf Euro.

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