Ludwigshafen Heldenfrei und hochcharmant

„Tochter, mach’ dein Physikum“, singt Judith Holofernes, die von einer Erkältung noch ein bisschen angeschlagen wirkte, aber ein
»Tochter, mach’ dein Physikum«, singt Judith Holofernes, die von einer Erkältung noch ein bisschen angeschlagen wirkte, aber eine gute Stimmung verbreitete.

„Freude, schöner Götterfunken! Tochter, mach’ dein Physikum ...“ so fängt Judith Holofernes ihr Konzert im Kulturzentrum Das Haus an. Blödeln mit Niveau gehört dazu. Bekannt geworden als Frontfrau von „Wir sind Helden“ ist sie nun einige Jahre mit neuer Band unterwegs. Die Musik macht Spaß, tanzen ist ausdrücklich erwünscht. Charmant und verspielt wirkt nicht nur Holofernes, sondern die ganze Band. Und weil das natürlich wirkt, lässt man sich in die gute Stimmung hineinziehen.

Aus Schillers „Ode an die Freude“ – vertont von Beethoven – wird „Oder an die Freude“ und eine Spielerei mit Themen, die jeden jungen Erwachsenen mal bewegt haben: Erwartungen anderer, unerwiderte Liebe, aber alles mit einem leicht ironischen Ton, der sagt „Kenn ich“. Zeilen wie „Und es kommt wie es muss: Du machst ernst – er macht Schluss“ wirken lakonisch hingeschnoddert wesentlich cooler als ernste Betroffenheitslyrik. Und während früher hemdsärmelige Akkordarbeiter den Rock’n’Roll definierten, lässt Judith Holofernes humanistische Bildung durchscheinen und singt von „Charlotte Atlas“, die „ein Titan“ ist und mit einer Figur der griechischen Mythologie verglichen wird, die dazu verdammt war, den Himmel zu tragen. Um die Sängerin herum werkelt eine exzellente Band. Der A-capella-Gesang der „Oder“ war eindrucksvoll. Auf der Bühne rechts singt, keyboardet, trompetet und posaunt eine Frau, die wir namentlich loben würden, wäre ihr Name irgendwo zu finden. Auch die Perkussionistin singt mit. Insgesamt ist die Musik durchweg tanzbar, bewegt sich meist in Dur-Kadenzen, und es gibt manche Passagen, die ein bisschen von afrikanischem Pop beeinflusst wirken mit wiederholten Dur-Motiven. Die Hauptgitarre im Bühnenhintergrund bringt etwas Indie- und Alternative-Stimmung, die Sängerin selber bedient edle Duesenberg-Gitarren. Holofernes klingt noch ein bisschen angeschlagen. Tatsächlich musste sie kürzlich noch Konzerte absagen und schreibt auf ihrer Facebook-Seite, dass es jetzt „knapp“ gerade so gehe. Man hört stellenweise auch, dass es knapp ist – was aber ihrer guten Laune keinen Abbruch tut. Die Sängerin wurde als Judith Holfelder-von der Tann 1976 in Berlin-Kreuzberg geboren. Aufgewachsen ist sie in Freiburg, wo sie schon als 14-Jährige in der Fußgängerzone Lieder spielte. Um zu studieren, kehrt sie nach Berlin zurück. Ihr Fach Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation lässt sie eine konsum- und medienkritische Haltung entwickeln. Sie will sich mehr auf Musik konzentrieren, nimmt 1999 eine Single auf („Kamikazefliege“) und geht 2000 nach Hamburg, wo sie den Popkurs an der Hamburger Musikhochschule besucht. Den hat übrigens Udo Dahmen mitgeleitet, bevor er in Mannheim die Popakademie gründete. Hier traf sie Pola Roy und Jean-Michel Tourette, mit denen sie als Judith Holofernes auftrat. Später wurde daraus „Wir sind Helden“. Die Band beschreibt ihre Musik als „28 Prozent Synthie, 34 Prozent Punk und 38 Prozent Pop“, und Holofernes schreibt die deutschen Texte. 2003 gelingt mit „Guten Tag“ der Durchbruch. Das Album „Die Reklamation“ wird ein großer Erfolg und verkauft 500.000 Einheiten. Auch das nächste Album „Von Hier an Blind“ schlägt ebenfalls ein. Deutscher Pop ist wieder angesagt und Holofernes Helden haben dazu wesentlich beigetragen. 2010 erscheint das Album „Bring mich nach Hause“, das in Deutschland und Österreich wochenlang die Album-Charts anführt. 2012 sagt die Band offiziell. „Wir sind erst einmal raus“ – was hoffnungsvolle Fans immer noch als Unterbrechung und nicht als Ende der Bandgeschichte ansehen. Doch inzwischen hat auch Judith Holofernes gesagt, dass es keine Helden mehr geben wird. Sie lebt mit Ehemann Pola Roy zusammen, und die beiden haben zwei Kinder. 2014 veröffentlicht die Sängerin „Ein leichtes Schwert“, den Titelsong gab es auch auf dem Konzert in Ludwigshafen zu hören. Mit Teitur Lassen, den sie in einer Show kennenlernt, schreibt und produziert sie gemeinsam Songs. 2017 erscheint ihr Album „Ich bin das Chaos“.

x