Ludwigshafen Erwartungen auch mal nicht erfüllen

Der Club der toten Dichter in neuer Variante: Einer von sechs Spielclubs aus Ludwigshafen zeigte seine Installation „Dead Poets
Der Club der toten Dichter in neuer Variante: Einer von sechs Spielclubs aus Ludwigshafen zeigte seine Installation »Dead Poets Rock«.

Fünf Tage, 20 Produktionen, 24 Vorstellungen: Das Mannheimer Nationaltheater ist bis gestern fest in der Hand des Kinder- und Jugendtheaters gewesen. Beim 13. Festival „Junges Theater im Delta“ haben sich unter dem Motto „Ich & Du & Wer?“ die Spielclubs der Bühnen in Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen und Speyer präsentiert. Und dabei die Möglichkeiten des Theaters ausgelotet.

Schule, Liebe, Freunde, Konsum. Die Themen, die Jugendliche in ihrer Welt bewegen, haben in den auf dem Festival gezeigten Inszenierungen immer wieder eine Rolle gespielt. Und die Frage, ob man die gängigen Erwartungen von Eltern, Lehrern oder der Gesellschaft eigentlich erfüllen sollte oder ob man sich widersetzen kann. Die elf bis 13 Jahre alten Spieler der Jungen Bürgerbühne des Mannheimer Nationaltheaters tragen den Widerstand schon in ihrem Namen: Der „Club der Verweigerer“ zeigte auf dem Festival die Produktion „Ich hab kein Bock auf dein Traum“. Neun Mädchen und ein Junge erzählten in einer collageartigen Inszenierung (Regie: Fatih Peker) mit den Mitteln von Tanz, Dialog und Performance von ihrer Identitätssuche. Im Chor berichteten die Jugendlichen von den permanenten Enttäuschungen, die das Erwachsenwerden so mit sich bringt: „Heute lerne ich, dass ich nicht träumen darf. Heute lernen wir, dass wir nicht gleich sind. Heute lerne ich, still zu sein.“ Der einzige Junge in der Gruppe reflektierte seine Stellung in der Gesellschaft: „Muss ich mir immer wieder zwischen die Beine packen, um zu beweisen, dass ich Eier habe?“ Es ging um Konsum („Seit ich dieses Handy habe, habe ich 1000 Follower mehr“), und ganz wie im professionellen Theater wurde auch Provokation gezielt eingesetzt. „Ihr wisst schon, dass wir hier in Deutschland leben?“, schnauzte ein blondes Mädchen eine Gruppe von wild durcheinander sprechenden Altersgenossinnen an. „Und hier wird Deutsch gesprochen.“ Das junge Theater ist vielfältig, bunt, ideenreich und hat viel Energie. Das haben die fünf Tage mit rund 300 Teilnehmern aus vier Städten eindrucksvoll bewiesen. „Der Austausch war toll“, sagte Anne Tysiak, die im Theater im Pfalzbau die Kinderclubs I und II leitet. „Viel zu sehen und darüber zu sprechen, bringt die Kinder und Jugendlichen sehr weiter. Sie konnten sich auf dem Festival selbst als Experten fürs Theater erleben.“ Sie sei überzeugt davon, dass die Gruppen in den fünf Tagen der intensiven Auseinandersetzung mit Theater auch zusammengewachsen seien. Das Theater im Pfalzbau war mit gleich sechs Spielclubs auf dem Festival vertreten, das Nationaltheater und das Theater der Stadt Heidelberg jeweils mit vier und das Kinder- und Jugendtheater Speyer mit zwei. Der Ludwigshafener Jugendclub der 13- bis 18-Jährigen zeigte gestern zum Abschluss im Studio Werkhaus die sehr interessante Installation „Dead Poets Rock“ unter der Regie von Giuseppina Tragni. Frei nach dem Kultfilm „Der Club der toten Dichter“ standen die Spieler auf Tischen und kreierten das Setting einer Schule, in der mit unkonventionellen Methoden gearbeitet wird. Die Inszenierung „Dead Poets Rock“ ließ die Grenzen zwischen Schauspielern und Publikum verschwimmen. Anders als im klassischen Theater, in dem man schon mit dem Rascheln eines Hustenbonbonpapiers zu viel Lärm verursacht, wanderten die Zuschauer permanent hin und her und wurden zur aktiven Teilhabe aufgefordert. Einer Frau konnte man bunte Klebezettel mit seinen persönlichen Wünschen und Träumen von Gesundheit bis Weltfrieden an den Körper heften, bei einer anderen Spontangedichte in Auftrag geben. Zuhörer wurden auf einem Stuhl einer Gehirnwäsche unterzogen („Das war jetzt aber echt Psycho“) und waren in einer anderen Ecke Teilnehmer der „Germany’s next Scheiß-Super-Lehrer“-Show. Einer der Schauspieler fragte Schulbildung ab („Wissen Sie zufällig, wann der Erste Weltkrieg war?“), ein anderer forderte dazu auf, sich körperlich fit zu halten. Und so machten Schüler aus Frankenthal, die ursprünglich mit dem Ziel nach Mannheim gekommen waren, sich für 40 Minuten brav in eine Theatervorstellung zu setzen, plötzlich Liegestützen auf dem Werkhausboden. Erwartungen erkennen, hinterfragen und auch mal nicht erfüllen – darum ging es immer wieder bei diesem Festival. Und natürlich darum, junge Leute für das Theater zu begeistern. Schließlich brauchen die Theater dieses Landes Nachwuchs – auf der Bühne und im Zuschauersaal. Wer die Begeisterung der jungen Leute in beiden Rollen bei dem Festival erlebt hat, dem ist für die Zukunft schon ein bisschen weniger bang.

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