Ludwigshafen Die Lokomotive atmet schwer

An der Flöte immer noch brillant: Ian Anderson, hier mit Bassist David Goodier und Keyboarder John O’Hara.
An der Flöte immer noch brillant: Ian Anderson, hier mit Bassist David Goodier und Keyboarder John O’Hara.

50 Jahre Jethro Tull – ein Jubiläum, das Ian Anderson, musikalischer Kopf, und einziges Band-Mitglied seit der Gründung – vergangenes Jahr noch kalt ließ. Doch nun hat er zur Feier ein 3-CD-Set mit 50 Songs aus allen Studioalben veröffentlicht und ist seit März auf Tour, die ihn nun in den Mannheimer Rosengarten führte.

Jubiläumstouren haben nicht selten einen faden Beigeschmack, haftet ihnen doch eine gewisse Patina an oder lässt die Protagonisten mit einem eher verklärten Blick auf die eigene Band-Historie blicken. Nun, Ian Anderson bot eine sehr kurzweilige Reminiszenz ans eigene Œuvre, eine gelungene Song-Mischung. Von den bluesrock-orientierten Anfängen, den Folk-Rock oder Progressiv-Rock-Phasen garniert mit den ewigen Klassikern, die seit Jahren bei keiner Show fehlen dürfen. Garant dafür ist zum einen Anderson selbst, der unermüdliche Frontmann, virtuose Flötenspieler und genialer Komponist, der mit 71 Lenzen immer noch den Bühnen-Gaukler mit dem Einbeinstand zelebriert und mit seinem Flötenspiel glänzt. Es ist aber auch seine Band, allen voran der gebürtige Rosenheimer Gitarrist Florian Opahle, der in diesem Jahr allerdings recht selten an den Saiten glänzen darf und seine Fingerfertigkeit, sein fantastisches Spiel unter Beweis stellen kann. Anderson hat der Jubiläumstour ein straffes Korsett verpasst, das wenig Luft für Soli lässt. Und jederzeit macht Anderson klar, wer der Herr im Ring ist. Wie bei Geburtstagen üblich, gibt es viele Gratulanten, darunter einige der 36 früheren Bandmitglieder. Die übermitteln per Videobotschaft ihre Glückwünsche. Es sind Stellen wie diese, an denen der Grat zur Verklärung, zum arroganten Blick zurück ziemlich schmal wird. Sind Andersons Anmoderationen der Musiker nicht selten süffisant bis überheblich. Und einen wichtigen Musiker unterschlägt er völlig: Martin Barre, der 42 Jahre feste Größe bei Jethro Tull war, 2012 die Band allerdings verlassen hat. Doch es sind nicht Jethro Tull, die auf der Bühne stehen, darauf weist der Titel der Tour (Jethro Tull by Ian Anderson) hin. Zudem hat der Schotte die Band 2014 offiziell aufgelöst und angekündigt, fürderhin nur noch unter eigenem Namen auftreten zu wollen. Doch so ganz lässt „Jethro Tull“ Anderson nicht los. Noch 2014 ging er mit der gleichnamigen Rock-Oper, die dem Namensgeber der Band, dem britischen Landwirt aus dem 18. Jahrhundert gewidmet ist, auf die Bühnen und führt ihn auf nahezu jeder Tournee im Titel. Doch Anderson ist nicht der einzige, der den Band-Geburtstag feiert. Martin Barre, jahrzehntelang an Andersons Seite, tourt ebenfalls mit einem Jubiläumsprogramm durch die Lande und fällt wahrscheinlich deshalb bei der Erinnerung an frühere Wegbegleiter hinten runter. Auch Barre geht auf Tull-Reise, nur eben ohne Flöten-Akrobatik und ohne die prägende Stimme der Formation. Doch die ist brüchig geworden. Schafft es Ian Anderson im ersten Konzertteil noch – wenn auch mit Mühen – einigermaßen kraftvoll die Töne zu treffen, entgleitet ihm die Stimme nach der Pause zusehends. Dass er seine Stimmbänder – auch durch die ständigen Liveauftritte der vergangenen Jahre und den oft schwierigen Gesangsparts seiner komplexen und ausgefeilten Kompositionen aufgerieben hat, weiß er und gibt es auch offen zu. Dennoch wird der disziplinierte Musiker nicht müde zu touren. Wahrscheinlich deswegen und weil er es seinen Fans schuldig zu sein glaubt. Doch es tut inzwischen weh, mit ansehen und -hören zu müssen wie sich Anderson, dessen Flötenspiel an Kraft und Ausdruck kaum eingebüßt hat, sich bei jedem Stück mehr quält und er um jeden Ton kämpft und gleichsam dem eigenen Bild heftige Kratzer zufügt. Gerettet haben die Präsentation der Klassiker „Heavy Horses“ und „Aqualung“ letztlich die irische Sängerin und Violonistin Unnur Birna Björnsdóttir und der britische Schauspieler und Sänger Ryan O’Donell. Allerdings waren beide nur im Videoeinspieler auf der Leinwand zu sehen. Einspieler, die Anderson schon bei der Rock-Oper-Tour 2014 eingesetzt hat. Warum sich Anderson für den Gesang nicht auch live Unterstützung holt, bleibt sein Geheimnis. Er versteht sich eben doch als der wahre Kopf und Schöpfer von Jethro Tull. Für das kommende Jahr hat Anderson ein neues Studioalbum angekündigt. Die Songs seien bereits geschrieben. Die Vorfreude auf eine neues Werk war schon einmal größer gewesen.

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