Ludwigshafen Der Mensch hinter der Maske

Susanne Kennedy.
Susanne Kennedy.

Produktionen verschiedener Münchner Bühnen bilden diesmal den Programm-Schwerpunkt bei den Festspielen in Ludwigshafen. Die Kammerspiele sind mit den „Selbstmord-Schwestern“ nach dem Roman von Jeffrey Eugenides vertreten, eine Inszenierung von Susanne Kennedy, die sich in ihren Regiearbeiten weit weg bewegt von gewohnten Theaterformen.

„Die eigene Wahrnehmung in Gefahr zu bringen oder in Frage zu stellen, das macht mir Spaß.“ Die Regisseurin Susanne Kennedy ist wenig an Geschichten, an der Dramaturgie, an Dialogen und Personenpsychologie interessiert. Ihr Theater stellt grundsätzliche Fragen: Wie kommt Identität zustande? Was macht eine Figur aus? Welche Rolle spielen Körper, Mimik, Stimme? Kann es überhaupt noch ein Ich geben in dieser das Individuum ständig überfordernden Gegenwart? Ihr Regiestudium absolvierte die in Friedrichshafen geborene Susanne Kennedy an der Kunsthochschule in Amsterdam. Lange arbeitete sie in den Niederlanden, inszenierte Stücke von Ibsen, Elfriede Jelinek, Enda Walsh und Sarah Kane, bewegte sich zwischen Schauspiel und Kunstinstallation. In Holland feierte sie erste Erfolge, in Deutschland wurde sie erst 2013 mit „Fegefeuer in Ingolstadt“ an den Münchner Kammerspielen bekannt. Die Zeitschrift „Theater heute“ wählte sie zur „Nachwuchsregisseurin des Jahres“, und zum Berliner Theatertreffen wurde die eigenwillige Inszenierung ebenfalls eingeladen. Die Autorin des „Fegefeuers“, Marielouise Fleißer, lässt ihre Figuren eine dialektal gefärbte Kunstsprache sprechen, was ihnen eine suchende Fremdheit verleiht in einer Welt, die sie nicht haben will. Kennedy trieb diesen Verfremdungseffekt noch weiter, ließ die von den Schauspielern gesprochenen Texte als Playback einspielen, während die Darsteller nur synchron die Lippen bewegten. Das Geschehen im nackten Bühnenraum wurde in pantomimische Sequenzen aufgesplittert, eingefrorene Bilder oder sonderbar ungelenke Bewegungen, getrennt von Blackouts. In ihrer folgenden Münchner Arbeit ging Kennedy noch radikaler zu Werke. In „Warum läuft Herr R. Amok“ wurden die Texte von Laien eingesprochen, die Schauspieler trugen Gesichtsmasken, die nur die Augen freiließen. Statt Menschen begegnete man entindividualisierten Kunstfiguren wie aus dem Computerspiel. „Ich sehe ein Theater, in dem die Stimme sich vom Körper trennt, das Gesicht nicht mehr der Überbringer von Gefühlen ist und der Körper nicht mehr dem Ich auf der Bühne gehört“, beschreibt die 41-Jährige ihr Konzept. Sie habe ein „neues Genre“ erfunden, meinte Chris Dercon, der frühere Direktor der Tate Modern in London, der gerade zum neuen Leiter der Berliner Volksbühne ernannt war. Er holte Kennedy in sein Team: Ihr Mix aus Sprechtheater, bildender Kunst, Installation und Performance war genau die ästhetische Form, die ihm für seine neue Aufgabe vorschwebte. In ihrem Stück für die Volksbühne „Women in Trouble“ schickte Susanne Kennedy eine krebskranke Künstlerin durch eine sich drehende Lifestylewelt, eine Mischung aus Hightech-Klinik und Raumschiff. Dazu erklangen Texte aus Philosophie, Altem Testament und Social Media. Die Kritik war gespalten. Der umstrittene Chris Dercon und seine Volksbühnendirektion sind inzwischen Geschichte, die „Selbstmord-Schwestern“ als Kooperation von Volksbühne und Kammerspiele aber nach wie vor in Berlin und München im Spielplan. Vorlage ist der Romanerstling des US-amerikanischen Autors Jeffrey Eugenides, der auch von Sophia Coppola verfilmt wurde. Erzählt wird die Geschichte der fünf Töchter der Familie Lisbon, die in einer amerikanischen Vorstadt leben. Die Teenager führen ein zurückgezogenes Leben. Als sich die Jüngste das Leben nimmt und die hilflosen Eltern die anderen noch mehr von der Außenwelt abschirmen, steuert das Geschehen auf die Katastrophe zu. Erzählt wird alles aus der Perspektive der Nachbarjungen, die das Geschehen voyeuristisch verfolgen und die geheimnisvollen Mädchen wie Popstars verehren. Für den Roman interessiert sich Kennedys Inszenierung kaum. In einem poppig-bunten Schrein lässt sie vier Schauspieler in Nachthemdchen, mit Masken und Kulleraugen als Schwestern agieren. Die Texte stammen aus dem tibetanischen Totenbuch und von Drogen-Guru Timothy Leary. „Dieser Abend ist so kitschig wie ein Heiligenbildchen, so durchgeknallt wie ein LSD-Trip und so wahrhaftig wie ein Kleinmädchentraum“, schrieb Shirin Sojitrawalla in ihrer Kritik. Termine Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen am Samstag, 17. November, 19.30 Uhr, und Sonntag, 18. November, 18 Uhr. Karten unter Telefon 0621/504-2558.

Halb Heiligenbild, halb Kleinmädchentraum, urteilen Kritiker.
Halb Heiligenbild, halb Kleinmädchentraum, urteilen Kritiker.
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