Landau Ostjuden galten als hässliche Schnorrer

In einer europaweiten Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig mahnen Stolpersteine als Erinnerungszeichen auf Straßen und Wegen vor ehemaligen Wohnhäusern an Verfolgte der NS-Zeit – auch in Landau. Die RHEINPFALZ stellt in einer losen Serie Landauer vor, derer mit diesen Steinen gedacht wird. Dieser Beitrag stammt aus der Feder der Historikerin Marie-Luise Kreuter, die in Landau lebt und Mitglied der „Initiative Stolpersteine“ ist.

Die Familie Graudenz gehörte zu den Ostjuden, die vor allem seit 1880, wegen Pogromen im Zarenreich, aus Osteuropa flüchten mussten. Die meisten emigrierten über Deutschland in die USA. Ein kleiner Teil blieb im Deutschen Reich und lebte vor allem in Preußen, Sachsen und Bayern. Im Jahr 1910 waren vermutlich etwa 13 Prozent aller in Deutschland lebenden Juden aus Osteuropa. Ostjuden galten bei den deutschen Behörden als staatenlos oder polnisch und wurden von Christen und den deutschen Juden mit Misstrauen und Herablassung betrachtet. Sie hatten den Ruf rückständig und verwahrlost zu sein und schon lange vor 1933 wurden sie in Karikaturen als hässlich und als „Schnorrer“, die es sich auf Kosten der anständigen Deutschen gutgehen ließen, denunziert. In Landau siedelten sich nur wenige jüdische Familien aus Osteuropa an, unter ihnen die Ehepaare Graudenz und Rosenblatt. An die Rosenblatts, deren drei Kinder Leo David, Doris und Wolf in Landau zur Welt kamen, erinnern Stolpersteine in der Marktstraße 81. An der Stelle, an der auch der Gedenkstein für den Widerstandskämpfer Heinrich Stützel liegt. Die Familie Rosenblatt gehörte Ende Oktober 1938 zu den 18 000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die gewaltsam über die deutsch-polnische Grenze abgeschoben wurden. So kam die deutsche Regierung der polnischen zuvor, die mit einem neuen Gesetz zur polnischen Staatsangehörigkeit sich ihrer im Ausland lebenden jüdischen Bürger entledigen wollte. Die Familie Graudenz, deren Mitglieder von den Behörden teils als polnisch, teils als „staatlos“ eingestuft waren, gehörte nicht zu den Abgeschobenen. Drei von ihnen hatten zu diesem Zeitpunkt Deutschland bereits verlassen. Sura und Israel Graudenz stammten aus dem ehemaligen Westpreußen und Posen. Ihr erstes Kind Chaskel wurde 1911 noch in Kalisch geboren. Mit ihm kamen die Eltern nach Ludwigshafen, wo im Oktober 1913 ihr zweiter Sohn geboren wurde. Sie gaben ihm den Namen Ludwig. Im November 1913 zogen sie von Ludwigshafen nach Landau. Dort kamen 1914 die Tochter Auguste und 1917 der Sohn Willi zur Welt. Die Familie lebte zunächst in der Königstraße 46, wechselte dann in die Theaterstraße 22 und zog im Dezember 1929 in den ersten Stock des Hauses Kirchstraße 26, dies die heutige Martin-Luther-Straße. Der Vater Israel war Händler. Ihm gehörte seit 1923 eine „Antiquitäten-und Althandlung“, die erst in der Theaterstraße 22 und spätestens seit 1926 in der Königstraße 45 war. Wie aus Anzeigen in Rundschreiben des Rabbinatsbezirks Landau von 1936 und 1937 hervorgeht, kaufte Israel Graudenz zu dieser Zeit getragene Herren- und Damenkleider, Schuhe, Wäsche und sonstige Gegenstände auf, außerdem reinigte und bügelte er Herrenkleidung. Die bis dahin noch in Landau verbliebenen Mitglieder der Familie Graudenz lebten und arbeiteten jetzt im Ostring 17. Der Sohn Chaskel, von Beruf Musiker, hatte Landau bereits im Juni 1933 verlassen. Ludwig starb am 9. August 1934 in der „Heil- und Pflegeanstalt“ Klingenmünster (heute Pfalzklinikum). Die Tochter Auguste ging im Mai 1934 nach Paris. Im Januar 1939 folgte der Sohn Willi dorthin, nachdem er zuvor im November 1938 vorübergehend in Dachau inhaftiert worden war. Im Februar 1939 flohen die Eltern Sura und Israel ebenfalls nach Paris. Über das weitere Schicksal von Auguste und Sura ist nichts bekannt. Drei Familienmitglieder wurden 1942 von Frankreich aus mit dem Ziel Auschwitz deportiert. Chaskel, der nach Monaco emigriert war, wurde von Compiègne aus deportiert und starb am 27. Juni 1942. Am 18. August 1942 starb sein Vater Israel. Das Todesdatum von Willi, der ab Drancy nach Auschwitz gebracht wurde, ist nicht bekannt.

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