Kreis Südwestpfalz Dann war er mal weg

Heinrich Schwarz auf dem Jakobsweg, hier bei Pamplona. Am Rucksack immer mit dabeI: der weiße Stoffhase, ein Geschenk der Enkeli

Im Alleingang hat Heinrich Schwarz mit 61 Jahren den Jakobsweg erwandert. Im Frühjahr aus dem Bexbacher Kraftwerk in den Vorruhestand geschickt, machte er sich auf die Socken – auf 797 Kilometern vom französischen Saint-Jean-Pied-de-Port bis zum spanischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela.

Bexbach. Fast 48 Jahre seines Lebens hatte Heinrich Schwarz im Dienste des Kohlekraftwerks in seiner Heimatstadt Bexbach verbracht. Dort ging der Elektromeister am 31. März 2016 zum letzten Mal zur Schicht: „Schon 2006 wurde das Personal von 290 auf 138 Mitarbeiter reduziert“, sagt er. „Und vor zwei Jahren ging’s nochmal von 108 auf 83 Leute runter“, sei er sich frühzeitig darüber im Klaren gewesen, dass man auch ihm demnächst den Vorruhestand ans Herz legen werde. Dass die Betreiberfirma Steag das Bexbacher Kraftwerk 2017 komplett stilllegen will, kann ihn nicht mehr wundern. Weit ist der Weg vom Bexbacher Kraftwerk bis nach Santiago – auch im übertragenen Sinne. Als Mitglied der Einöder Ski- und Wanderfreunde weiß Heinrich Schwarz, wie man auf langen Fußmärschen mit seinen Kräften haushält. „Zum Beispiel habe ich vor Jahren mit Freunden die Alpen überquert – in Tagesmärschen mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte.“ „An meinem letzten Arbeitstag“, so erzählt der 61-Jährige, „lud ich sämtliche Kollegen zur Abschiedsfeier ein – auch die, mit denen ich mich weniger gut vertragen habe.“ Im Nachhinein ist er sehr froh darüber: „Hinterher hatte ich das Gefühl, dass ich innerlich frei bin und mit allen Kollegen Frieden gemacht habe.“ Ähnlich erging es ihm im privaten Umfeld: „Die Kinder sind aus dem Haus und haben gute Berufe, meine Frau und ich haben die Eltern bis zum Schluss gepflegt. Die großen Aufgaben des Lebens waren erfüllt. Ich hatte nun alle Zeit, um den Jakobsweg anzugehen – ganz ohne Termine und Zeitdruck.“ Klar, den Bestseller „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling hatte er irgendwann mal gelesen – doch Heinrich Schwarz’ Neugier wurde beim Wandern im Pfälzerwald geweckt, als der Bexbacher unterwegs das blaue Kachel-Symbol mit Stern erblickte. Dass er sich ganz allein auf die Socken machen würde, auch ohne die Ehefrau, war für Schwarz keine Frage: „Jeder Mensch hat sein ganz persönliches Lauftempo. Da hilft es nicht, wenn man zu zweit unterwegs ist und dann ständig ,Wo bleibst du denn’ oder ,Geh’ doch nicht so schnell’ gesagt wird.“ Einziger Begleiter war ein weißes Stoffhäschen: „Das hat mir meine Enkelin vor der Abreise geschenkt, damit ich nicht so allein bin.“ Ehefrau Hannelore fuhr Heinrich Schwarz nach Neunkirchen zum Bahnhof – dort hieß es Abschied nehmen. In Paris stieg der Pilger in den Schnellzug TGV um, der ihn ins südfranzösische Bayonne brachte. „Dort stieg ich in einen Bus voller Leute mit Rucksäcken ein – die hatten wie ich das Ziel Saint-Jean-Pied-de-Port.“ Jenes malerische Baskenstädtchen ist der Startpunkt der von Frankreich her kommenden Jakobsweg-Route, die die Spanier Camino Francés nennen. „Dort bin ich am 23. Mai losgelaufen. Durchs alte Stadttor aus Napoleons Zeiten ging es raus in die Pyrenäen. Ganz allein, immer ein Auge offen für die Markierungen mit gelben Pfeilen oder Muschel-Symbolen.“ 19 bis 35 Kilometer lange Marsch-Etappen bestimmten fortan den Tag – und die Schlafsäle der Pilgerherbergen, in denen jeder immer nur eine einzige Nacht verbringen darf. „Morgens weiß man nie, wie weit man heute kommt und wo man schläft“, schildert Heinrich Schwarz, wie sich ein Jakobspilger unterwegs in Gedanken und Gefühlen verliert und die überquellende Farbenpracht der Pflanzen am Wegesrand mit neuen Augen in sich aufsaugt. „Da wird man demütig und bescheiden“, bekennt der Bexbacher: „Den Camino kann man nicht rational erklären. Er beeinflusst und fordert alle Emotionen, seelischen und körperlichen Empfindungen.“ Zu hetzen nutze gar nichts: „Es kann sein, dass man 50 Meter vor sich einen anderen einsamen Pilger wandern sieht. Würde man einen Zahn zulegen und ihn einholen, sähe man 100 Meter davor den nächsten Wanderer.“ Abends, in den Herbergen, treffe man manch vertrautes Gesicht immer wieder: „Dort kocht man dann zusammen und redet miteinander“, berichtet Schwarz von Begegnungen mit Australiern, Letten und Polen – mit tiefgläubigen Katholiken, sinnsuchenden Esoterikern und Atheisten, die den Weg aus rein sportlichen Motiven auf sich nehmen: „Am Ziel in Santiago traf ich ein Paar aus Ostdeutschland. Wie alle Wanderer besuchten die beiden die Kathedrale. Dort waren sie von der Liturgie stark beeindruckt, obwohl sie nicht religiös sind. Hinterher ließen sie sich die Sache von anderen Pilgern erklären.“ Dem Körper fordert der Jakobsweg alles ab. „Schon gleich am ersten der 28 Tage hatte ich eine Blase am Fuß“, berichtet der 61-Jährige: „Von da an strafte ich meine Füße mit Verachtung – ab da ging’s.“ Eine „gewisse Grund-Konstitution“, betont Schwarz, müsse man schon mitbringen. Und Hitze und Hunger seien ständige Begleiter: „An einem Tag Camino werden bis zu 800 Kilokalorien verbrannt. Am Gürtel hatte ich eine Tasse hängen – damit trank ich Wasser aus einem der Brunnen, die überall in Spanien am Wegesrand stehen.“ Unterwegs mal den Bus nehmen oder sich eine komfortable Nacht im Hotel gönnen? „Kam für mich nie in Frage“, betont der 61-Jährige. Allerdings habe er in der Stadt Burgos zwei Tage lang einen Anfall von Fieber und Schüttelfrost auskurieren müssen. Eine Quintessenz seiner Erfahrungen auf dem uralten Kulturpfad sei das Bild, das der einzelne Wanderer inmitten von Landschaft und Natur von sich als Individuum gewinne: „Überrascht stellt man fest, wie einfach und bedürfnislos man doch leben kann.“ Noch immer schwärmt Heinrich Schwarz vom spirituellen Gemeinschaftserlebnis in der Kathedrale am Sehnsuchtsziel Santiago. „Alle zelebrieren zusammen die Messe – das gehört einfach dazu.“ Am Ende ließ sich der Bexbacher vom Ryanair-Flieger ab Santiago zum Flughafen Hahn heim nach Deutschland befördern. Acht Kilo leichter – und reicher an spirituellen Erfahrungen, unvergesslichen Erlebnissen und einem erweiterten Bewusstsein.

Während eines Diavortrags bei den Ski- und Wanderfreunden Einöd berichtete Heinrich Schwarz von seinen Erlebnissen in Spanien.
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