Kreis Südliche Weinstraße Weihnachtsmenü auf Lenkrad

Heiligabend kurz vor 21 Uhr auf den A-65-Raststätten Pfälzer Weinstraße West und Ost bei Edesheim. Leise rieselt … der Nieselregen. Wo sonst ein reges Treiben die Szene bestimmt, herrscht eine fast ungewöhnliche Stille. Wo sonst Laster aus halb Europa dicht an dicht stehen, sind es in der Heiligen Nacht gerade einmal sechs.

Im Restaurant gähnende Leere. Eine einsame Bedienung, die den Schichtwechsel herbeisehnt. Ein Brummi-Fahrer war kurz da, habe die Dusche benutzt und sei gleich wieder zu seinem Fahrzeug zurückgekehrt. Die Bedienung werkelt in den Auslagen herum, als ein junger Mann eintritt und sich mit Zigaretten und Getränken eindeckt. Wenig später ein anderer Durchreisender, der sich nach dem Betanken seines Fahrzeugs vor der letzten Etappe mit einer Bockwurst und einem Kaffee stärkt, Red Bull für unterwegs kauft. „Normalerweise habe ich Getränkedosen immer dabei“, sagt er, steigt wieder in sein Auto, auf dem Rücksitz liegen Geschenke. Noch in der Nacht will er zu Hause sein und den ersten Weihnachtsfeiertag im Kreise der Familie verbringen. Auch an den Zapfsäulen herrscht „tote Hose“. Ab und zu ein Mercedes Sprinter oder ähnliches. Die Lkw stehen wie mächtige dunkle Trutzburgen da. Die Trucker kommen meist aus Osteuropa. Weihnachten allein auf einem verregneten Rastplatz, fernab von der Familie – das ist alles andere als schön, aber das Los vieler Fernfahrer. Während der überwiegende Teil der Trucker in den Fahrerkabinen die Gardinen zugezogen hat, macht der 34-jährige Litauer Mikhail Chernyskov an einem Propangas-Kocher eine Fischsuppe warm. Seit drei Tagen ist schon unterwegs. Aus dem Radio klingt das Lied „Driving Home für Christmas“ von Chris Rea. Ein Trucker und ein Journalist Heiligabend auf dem Rastplatz. Zuerst Skepsis, doch dann ist schnell das Eis gebrochen und es entwickelte sich ein nettes Gespräch in deutschen, englischen Sprachbrocken und Zeichensprache. Der Familienvater muss damit leben, dass er fern der Heimat Weihnachten verbringt, während zu Hause seine Frau und die zwei- und vierjährigen Kinder im Kreise der Großeltern das Fest der Liebe feiern. Seit 14 Jahren arbeitet er als Fernfahrer. Gerade kommt er aus Süddeutschland, hat Maschinen und Elektrogeräte im Laderaum, die am Samstag im Norden von Rheinland-Pfalz beim Kunden sein sollen, verrät er. Zeit- und Konkurrenzdruck sorgen für solche Einsätze. Das Gesicht des Litauers wird ernst: „In den letzten Jahren habe ich mich an die Einsamkeit auf der Autobahn gewöhnt.“ Wenig später legt er ein Handtuch auf das Lenkrad. Auf diesem improvisierten Tisch isst er sein Weihnachtsmenü. Nebenan hat gerade ein Trucker einer holländischen Spedition einen Zwischenstopp eingelegt. Nicht länger als die gesetzlich vorgeschriebene Dreiviertelstunde, sagt der 32-Jährige. Der Junggeselle hatte am Morgen eine Blumen-Ladung in die Schweiz gebracht. „Wenn man jung ist, muss man Geld verdienen“, sagt er mit dem Hinweis, dass das Weihnachtsfest für ihn keine Bedeutung habe. Während sich der Blumen-Laster langsam in Bewegung setzt, hat Mikhail die Vorhänge seiner Fahrerkabine zugezogen. Dünn schimmert Licht hindurch. Irgendwann wird es erloschen sein und das Brummen der Standheizung ihn in den Schlaf wiegen. „Driving home for Christmas“ – davon konnte Mikhail wie viele seiner Kollegen an Heiligabend nur träumen.

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