Herxheim Stolpersteine erinnern an Opfer des Nationalsozialismus

Gunter Demnig bei der Arbeit in der Oberen Hauptstraße.
Gunter Demnig bei der Arbeit in der Oberen Hauptstraße.

Es sind dezentrale Gedenkstätten: jene bronzefarben überkronten Pflastersteine, die vor deren letzten Wohnsitzen an jüdische Mitbürger erinnern. Auf Initiative des Heimatvereins halten drei solcher Steine die Erinnerung an eine Familie wach.

Rund 100.000 Stolpersteine sind bisher auf Initiative des Kölner Künstlers Gunter Demnig europaweit verlegt worden – vor den letzten Wohnsitzen jüdischer Mitbürger, als dezentrale Gedenkstätten für Opfer der Nazi-Diktatur. In Herxheim hat Klaus Eichenlaub, Vorsitzender des Heimatvereins, den Anstoß dazu gegeben. Er nennt Demnig „Ideengeber einer einzigartigen Gedenkkultur als Antwort auf eine in diesen Dimensionen nie da gewesenen Schandtat an der Menschheit“. Am Wochenende verlegte Demnig drei kleine Messingtafeln vor den letzten Wohnungen vertriebener Herxheimer.

Die Stolpersteine befinden sich nahe beieinander auf dem Bürgersteig in der Oberen Hauptstraße 12 und 18. Hier wohnten die drei Herxheimer, die miteinander verwandt beziehungsweise verschwägert waren. Ihr gemeinsamer Stammvater Benedikt Engel betrieb eine florierende Weberei, bis er von den Nazis zwangsenteignet wurde und gezwungenermaßen nach Karlsruhe zog. Der erste Stein ist seinem Schwiegersohn Gustav Rosenthal gewidmet, dessen Biografie von Eichenlaub vorgetragen wurde.

Töchter können fliehen

Rosenthal lebte in dem Anwesen Obere Hauptstraße 18 mit seiner Frau Eva und drei Töchtern, gearbeitet hat er in der Weberei seines Schwiegervaters. Eva starb bereits 1936. Ihre Beisetzung war die letzte auf dem Herxheimer Judenfriedhof. Allen Töchtern war es noch vor der Reichspogromnacht gelungen, Deutschland in Richtung Palästina und New York zu verlassen. Nur Gustav konnte sich nicht dazu entschließen, obwohl er 1938 für einige Wochen in „Schutzhaft“ in Dachau interniert war. Ab 1939 musste er, wie alle Männer jüdischen Glaubens, den Vornamen Israel annehmen. Nachdem er aufgrund der Zwangsenteignung seines Schwiegervaters seine Arbeit verloren hatte, zog er mit ihm nach Karlsruhe. Im Oktober 1940 wurde er im Zuge der konzertierten Aktion der Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Josef Bürkel (Pfalz) ins Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen deportiert – eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager im Osten. Über das Sammellager Drancy führte Rosenthals Weg nach Auschwitz, wo er 1942 ermordet wurde. Der zweite Stein liegt vor dem Haus in der Oberen Hauptstraße 12. Dort befand sich Benedikts Weberei, und auch seine Tochter Elisa, genannt Lisa, kam dort 1890 zur Welt. Sie ist die Schwägerin von Gustav Rosenthal.

Die Synagoge abgerissen

Spätestens seit dem 9. November 1938 wusste die jüdische Bevölkerung, dass ihr Leben in Gefahr war. Die Herxheimer Synagoge befand sich im hinteren Teil des Anwesens Obere Hauptstraße 16. Nachdem fanatische Nationalsozialisten die komplette Inneneinrichtung zerstört hatten, konnten Nachbarn aus Angst um ihre Häuser verhindern, dass das Gebäude angezündet wurde. Dennoch wurde die Synagoge abgebrochen, die Steine wurden zur Befestigung von Waldwegen verwendet. Ab diesem Ereignis bereiteten die noch in Herxheim verbliebenen Juden ihre Ausreise vor. Außer Benedikt Engel mit Schwiegersohn Gustav und Tochter Lisa.

Die drei wohnten nur noch kurze Zeit im Dorf und zogen dann nach Karlsruhe um, wo Benedikt starb. Auch Lisas Weg führte über Gurs und Drancy nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Ihr Name ist in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem verzeichnet.

Wilhelm wird Bill

Vor demselben Haus in der Oberen Hauptstraße 12 wird ein dritter Stolperstein verlegt. Er gilt Wilhelm Engel, dem Enkel von Benedikt, dem mit Eltern und Bruder 1939 noch rechtzeitig die Ausreise nach New York gelungen war. Vorgestellt wurde seine selbstverfasste Biografie von Ben Hergl, Regisseur und Schauspieler des benachbarten Chawwerusch-Theaters. Wilhelm, Jahrgang 1924, ging in Herxheim in die Volksschule und anschließend in die Oberrealschule für Jungen in Landau. Dort wurde er nach der Reichspogromnacht „rausgeschmissen“, wie er bei einem späteren Besuch in seinem Heimatdorf erzählte. In den USA arbeitete er als Feinmechaniker, bevor er zur Armee einberufen wurde. Als Bill Engel war er an der Befreiung Frankreichs beteiligt, wofür er zum „Ritter der Ehrenlegion“ ernannt wurde – die höchste Auszeichnung, die der französische Staat zu vergeben hat. Im Mai 1945 war er dabei, als das Konzentrationslager Dachau befreit wurde, in dem sein Onkel Gustav und sein Vater Paul sieben Jahre zuvor qualvolle Wochen verbringen mussten.

Bis Bill in das Dorf seiner Kindheit und Jugend zurückkehrte, vergingen viele Jahre. Erst 66 Jahre nach der unfreiwilligen Ausreise aus Deutschland führte ihn sein Weg nach Herxheim. Dann aber regelmäßig und stets zusammen mit seiner Lebensgefährtin Esther Bauer. Diese hatte mehrere Konzentrationslager überlebt, dabei ihre gesamte Familie verloren und es sich zur Aufgabe gemacht, der jungen Generation von ihren Erlebnissen zu berichten. Das Paar war wiederholt zu Gast im Pamina Schulzentrum und vermittelte den Schülern die Erfahrungen des Holocaust als Überlebende aus erster Hand. Nach Esthers Tod 2016 setzte Bill ihr Lebenswerk fort, bis auch er 2020 im Alter von 95 Jahren starb. „Wir sind dankbar für das Geschenk seiner Versöhnungsarbeit und möchten ihn mit dem Stolperstein ehren und somit die Erinnerung an einen freundlichen, engagierten Menschen und Herxheimer Bürger wachhalten“, so Hergl.

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