Kreis Kusel „Westricher Heimatblätter“: Über den Blick in den Kochtopf und den Leichenschmaus

Einer der Beiträge stammt vom unlängst verstorbenen Regionalhistoriker Roland Paul. Er befasste sich damit, was in verschiedenen
Einer der Beiträge stammt vom unlängst verstorbenen Regionalhistoriker Roland Paul. Er befasste sich damit, was in verschiedenen Orten beim Leichenschmaus aufgetischt wurde.

Die „Westricher Heimatblätter“ befassen sich im neuesten Band mit den Ergebnissen einer im frühen 20. Jahrhundert durchgeführten Umfrage zur Alltagskultur. Darüber hinaus gibt es einen Blick in den Kochtopf längst vergangener Tage und einen Blick darauf, wie einst mit den Themen Tod und Bestattung umgegangen wurde.

Wer sich für Volkskunde und Kulturgeschichte interessiert, findet im jüngsten Heft der Quartalsschrift „Westricher Heimatblätter“ reichlich Stoff. Der Beitrag „Volkskundliches aus Welchweiler“ etwa basiert auf einer Rundfrage, die der Bayerische Verein für Volkskunst und Volkskunde anhand eines standardisierten Fragenkatalogs im Jahr 1908 vornahm. Adressaten waren „die Herren Geistlichen, die Herren Bezirksamtmänner und die Herren Lehrer“, die um Auskunft zu Sitten und Bräuchen, zu Nahrung, Kleidung, Wohnung und Geräten, zu Glaube und Sage, Volksdichtung und Mundart ersucht wurden.

„Kaffi und Käässchmer“ zum Frühstück

Bayernweit wurden knapp 600 Antworten registriert, aus der Bayerischen Rheinpfalz liegen 55 Antworten vor – überwiegend verfasst von Lehrern. Aus dem heutigen Kreis Kusel enthält das Archiv des Münchner Instituts für Volkskunde Zuschriften aus Altenkirchen, Breitenbach, Brücken, Dietschweiler, Glan-Münchweiler, Kübelberg, Waldmohr und Welchweiler.

Die volkskundlichen Auskünfte zu Welchweiler, das damals mehr als 360 Einwohner zählte, sind von Volksschullehrer Jakob Cassel, der aus der westpfälzischen Gemeinde stammt, aber seit einigen Jahren in Sondernheim in der Vorderpfalz tätig war. In seiner 50 Seiten umfassenden, handschriftlichen Antwort beschreibt er die Essens- und Schlafenszeiten, Speisen und Tischsitten. Das Frühstück besteht anno 1909 aus „Kaffi un Käässchmer“, zum „Vieruhressen“ gibt es im Sommer Kaffee, Brot und Käse und beim „Nachtessen“ kommen „Gequellte“ auf den Tisch. Der Brauch, „dass die Familie aus einer Schüssel löffelt, kommt immer mehr aus der Mode“, notiert Lehrer Cassel.

„Bobbelscher aus em Weiher“

Kartenspiel, Kalenderlektüre, Schnitzerei von Gebrauchsgegenständen gehören zur abendlichen Beschäftigung – bis um 23 Uhr Feierabend ist. Denn das Tagwerk beginnt im Sommer schon um vier Uhr in der Früh. Von den Festtagen ragen laut Cassel in Welchweiler und wohl auch in vielen anderen Ortschaften heraus Weihnachten, Neujahr, Ostern, Hexennacht und 1. Mai, Pfingsten samt Quack. Einen hohen Stellenwert habe im Dorf das Kirchweihfest, die Kerwe mit ihrer Ritualen.

Mit dem Kirchgang hatten es die Welchweilerer nicht so, er sei „wegen des weiten und schlechten Weges sehr säumig“. Die katholischen Feiertage werden nicht begangen, ein wichtiges Datum ist jedoch Martini. Denn dann werden die Geldgeschäfte abgewickelt, Zahlungen für Pacht und Ersteigertes fällig.

Aufschlussreich sind Cassels Schilderungen über die verschiedenen biografischen Lebensphasen und Übergänge – von Schwangerschaft über Geburt und Taufe, Konfirmation, Hochzeit bis zum Tod. Nach dem Kinderglauben kommen die „Bobbelcher“ aus einem Weiher, aus dem wiederum die Hebamme („Ammebas“) sie in einem Körbchen fischt. Über die Taufe berichtet Cassel, dass zumeist vier bis sechs Paten gewählt wurden, erstgeborene Söhne den Namen des Vaters und die Töchter den der Mutter erhalten. Den Notizen des Lehrers lässt sich entnehmen, dass vor 100 Jahren „arrangierte“ Hochzeiten unter Vermittlung eines „Freierschmanns“ noch üblich waren. Ebenso die Tradition des Straußsteckens beim Aufgebot und der Hochzeitsstaat.

Die obersten Kirschen gehören „dem Nagel“

Bei Krankheiten greifen die Bewohner von Welchweiler in erster Linie zu „Hausmitteln“. „Dem Kranken soll man geben, wonach er verlangt; es hat sich mancher an etwas, wonach er ’Gehije’ bekommen hat, schon gesund gegessen und getrunken.“ Als letztes Heilmittel kommt mitunter „das Brauchen“ zum Zuge, mit Sprüchen oder Einreiben wird die Erkrankung bekämpft. Im Todesfall muss von den Nachbarn „bis um 4. Haus“ Totenwache gehalten werden. Das Begräbnis wird als für protestantische Gegenden üblich als „höchst einfach“ beschrieben.

Über die Haus- und Landwirtschaft weiß Cassel, dass in der Herrmannsberg-Gemeinde wie auch andernorts ein großer Misthaufen als Ausdruck von Wohlstand gilt. In der Fruchtfolge war noch die Brache alle sechs bis sieben Jahre üblich. Das „Wegzackern“, über die Grenze pflügen, ist in der kleinteiligen Subsistenzlandwirtschaft nicht gelitten und das Verrücken von Grenzsteinen gilt als Sünde.

Von der Obsternte weiß Cassel zu berichten, dass die Kirschen an den höchsten Ästen „dem Nagel“ gehören – einem auf Knochenbrüche spezialisierten Arzt. Und fällt jemand vom Baum, heißt es: „Der war am Nagel seine Kersche“.

Bier und Rindfleisch zum Leichenschmaus

Nach Wahlen ist es lokaler Brauch, dass der neue Gemeinderat einige Fass Bier bezahlt und jedes Ratsmitglied Schinken und Schwartenmagen spendiert. Dass Aberglauben präsent ist, illustriert Lehrer Cassel beispielhaft an Sagen und Legenden aus der Gegend. Gesammelt sind in dem Beitrag zudem zahlreiche Volks- und Kinderlieder, die weithin in Vergessenheit geraten sind. Das gilt auch für die Liste mit mundartlichen Redensarten sowie Sprich- und Schimpfwörtern.

Dass Kirchenweihen in den Westrich-Dörfern mitunter in eine Völlerei ausarteten, legt Thomas Martin Pfaffs Beitrag „Vom Fressen und Saufen – über Ernährungswohnteten in früherer Zeit“ nahe. So wird schon im 16. Jahrhundert in einem Pfarrvisitationsprotokoll im Amt Wolfstein gefordert: „Die Esskirchweihen sollen ganz abgeschafft werden.“ Auch die Zweibrücker Obrigkeit machte sich dafür stark, statt einer Esskirchweihe einen Jahrmarkt abzuhalten oder wieder zu predigen.

In dem Beitrag des unlängst verstorbenen Regionalhistorikers Roland Paul wird ausführlich geschildert, was in verschiedenen Orten beim Leichenschmaus aufgetischt wird. In Rehweiler etwa wurden 1882 für diesen Anlass 70 Liter Bier in Rechnung gestellt, in Horschbach ein Zentner Rindfleisch verzehrt. Konfessionelle Unterschiede der Grabgestaltung sind Paul zufolge auf den Friedhöfen kaum noch zu erkennen.

Info

Die „Westricher Heimatblätter“ erscheinen vierteljährlich. Das Einzelheft kostet drei Euro zuzüglich Versandkosten. Sie können über die Kreisverwaltung (Abteilung Zentrale Aufgaben, Schule und Kultur, 66869 Kusel) bezogen oder im Bürgerbüro der Kreisverwaltung und im Tourismusbüro am Bahnhof erworben werden.

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