Kreis Germersheim Tokio 1964: Die Reise ihres Lebens

Das ZDF hat das Ereignis ins Gedächtnis gerufen. Im „Heute Journal“ am Montag zeigte man Bilder – schwarz-weiß natürlich – des über die Ziellinie taumelnden Willi Holdorf. Der war im Ziel, hatte gerade den Zehnkampf der Olympischen Spiele in Tokio 1964 gewonnen, als erster Deutscher Zehnkampfolympiasieger überhaupt. Und natürlich war er der große Held. Im Ziel allerdings war er am Ende seiner Kräfte. Es war ein spannender Wettkampf, bei dem am Ende „das Olympiastadion in Tokio aber ziemlich leer war“, erinnert sich Günter Sorge. Er hatte sich zur ebenfalls fast leeren Pressetribüne geschlichen und erhielt dort die aktuellen Zwischenstände des Zehnkampfes – auf Papier. Vom Computer noch keine Spur. Diejenigen, die mit ihm im Stadion waren, werden diesen Wettkampf und diesen Abend nicht vergessen, ist sich der Germersheimer sicher. Unvergesslich sind diese Olympischen Spiele auch einer Reihe von damals jungen Sportlern, die am Olympischen Jugendlager im so fernen Japan teilnahmen. 125 junge Leute aus der Bundesrepublik hatten sich in mehreren Ausscheidungsrunden qualifiziert. Es war eine Art „Mehrkampf“; sie mussten sich in sportlichen Wettbewerben behaupten, aber auch Allgemeinwissen und musische Kompetenz beweisen. Qualifiziert haben sich damals in der Endausscheidung in Berlin auch neun junge Sportler aus der Pfalz, darunter zwei Speyerer: der Schwimmer Heiko Fouquet und der Leichtathlet Günter Sorge. Sie starteten mit den anderen Jugendlichen zur Traumreise auf Einladung der Deutschen Sportjugend; zuvor hatten sie sich gemeinsam bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Frankfurt im Haus der deutschen Sportjugend auf das „Abenteuer Tokio“ vorbereitet. Am 4. Oktober 1964 flogen die Teilnehmer des Jugendlagers mit einer Boeing 707 der Lufthansa nach Japan, eine lange Reise mit Zwischenstopp in Anchorage, Alaska. Am 5. Oktober landete die Gruppe in Tokio und schon am nächsten Tag wurde das Weltjugendlager in Anwesenheit des japanischen Premierministers und des damaligen japanischen Kronprinzen und heutigen Kaisers eröffnet. Die folgenden Tage waren vollgepackt mit Terminen: Stadtbesichtigung, Parade mit Jugendlichen durch die Stadt und schließlich Eröffnung der Olympischen Spiele am 10. Oktober. Von da an wechselten sich Besuche sportlicher Wettbewerbe mit touristischen Ausflügen und Pflichtterminen ab. Man war ja irgendwie auch Repräsentant der Bundesrepublik, kam daher auch zu einem Empfang beim Deutschen Botschafter. Man bekam aber auch Einblicke in die Arbeitsweise des schon damals bedeutenden japanischen Unternehmens Toshiba. „Die hatten in Tokio schon Taxen mit Fernseher drin“, beschreibt Sorge das Staunen. Aber die schönsten Erinnerung hat er an den Sport. Auf der Tribüne lernte er den Puma-Chef Rudolf Dassler kennen. „Der hat mir einen handgeschriebenen Gutschein für Sportschuhe gegeben“, erzählt Sorge. „Den habe ich später auch eingelöst.“ Den Boxer Hans Freistadt traf er im Jugendlager. Freistadt hatte die Qualifikation für das Olympische Turnier nur knapp verloren, durfte aber wenigstens mit ins Jugendlager. An Sprinter Löser, ebenfalls aus Speyer, und den verletzten besten deutschen Zehnkämpfer Manfred Bock kann sich Sorge noch gut erinnern. „Bock hat bei der Siegerehrung geweint, weil er selbst nicht hat mitmachen können.“ Bei dem dicht gedrängten Programm spielte die nicht sonderlich komfortable Unterbringung in einer Turnhalle keine große Rolle. Wichtig war den jungen Sportlern, dabei zu sein bei einer für damalige Verhältnisse unglaublich weiten Reise. Es vergingen viele Jahre, bis man sich wieder traf: Erst zum 40. Jubiläum 2004 kamen die Tokio-Fahrer von 1964 zu einem Treffen in München zusammen. Seither gibt es die Treffen ehemaliger Teilnehmer des Olympischen Jugendlagers alle zwei Jahre, unter anderem waren Berlin, Heidelberg und Marburg Schauplätze des Wiedersehens. Am Wochenende ist es wieder so weit. „50 Jahre danach“ ist das Motto. Man sieht sich wieder, dieses Mal in München. Dass da und dort die Erinnerung manches Geschehen verklärt, das haben nostalgische Rückblicke auf die Jugendzeit so an sich. Den Abend, als Willi Holdorf Gold gewann, den wird man aber nicht vergessen. Und sicher singen sie im Laufe des Treffens wieder gemeinsam „Sakura“, das japanische Lied von der Kirschblüte. (iso)

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