Kreis Germersheim Fast alle Bilder sind ohne Menschen

Simone Kehler mit einem Kunstwerk aus ihrer Heimat Paraguay. Die Studentin organisiert Ausstellungen in Europa, um die Arbeiten
Simone Kehler mit einem Kunstwerk aus ihrer Heimat Paraguay. Die Studentin organisiert Ausstellungen in Europa, um die Arbeiten der Nivaclé bekannter zu machen.

Engagement für Indigene: Studentin Simone Kehler organisiert seit acht Monaten europaweit Ausstellungen für Künstler aus ihrer Heimat Paraguay. Hier spricht sie darüber, was hinter den Arbeiten mit Kugelschreiber steckt.

Was macht diese Bilder so besonders?
„Die Künstler arbeiten nur mit Kugelschreiber und Papier. Ihr Atelier ist draußen, in der Natur. Trotz dieser wirklich minimalistischen Ausstattung sind die Bilder so detailliert. Das ist einfach ganz anders als die Kunst, die wir hier kennen, darin spiegeln sich auch die kulturellen Unterschiede.“

Inwiefern?
„Zum Beispiel malen die meisten Künstler, bis auf einen, hauptsächlich Tiere und Pflanzen, keine Menschen. Signieren ist auch oft schwierig – wir konnten einen der Künstler nie dazu bewegen, seine Bilder deutlich sichtbar zu signieren. Zwei der Künstler sind Analphabeten.

Hat dieser Mangel konventioneller Bildung deiner Meinung nach Auswirkungen?
„Auf jeden Fall. Während ihnen das fehlt, verfügen sie über eine besondere Beobachtungsgabe, die wir so einfach nicht haben. Das zeigt sich auch in den Bildern. Der Künstler hat dieses Insekt so detailliert gemalt, man erkennt sogar die Beißwerkzeuge. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass gerade die Nivaclé – der Stamm, dem die Künstler angehören – ein besonderes Feingefühl haben.

Du bist in direkter Nachbarschaft mit den Nivaclé aufgewachsen. Wie war das möglich?
„1927 sind deutschsprachige Mennoniten aus Kanada eingewandert, darunter meine Urgroßeltern. Anders als die spanischen Kolonialherren haben diese Einwanderer in Einklang mit der indigenen Bevölkerung gelebt und friedliche, nachbarschaftliche Beziehungen gepflegt. Meine Familie hat damals Hilfe zur Selbsthilfe geleistet, etwa, indem der indigenen Bevölkerung Unterricht in der jeweiligen Muttersprache ermöglicht wurde.

Die Aussiedler aus Kanada waren damals weit davon entfernt, reich zu sein. Gerade das ist auch der Grund, aus dem ich das Studium in Deutschland wirklich als Privileg betrachte.

Ist es diese Geschichte, die dich zu den Ausstellungen bewegt hat?
„Nein, ich habe die Kunst gesehen und war sofort fasziniert. Ich habe das Potenzial erkannt und wollte die Bilder unbedingt mit einem breiteren Publikum teilen. In Deutschland sind sie kaum bekannt und in Paraguay gibt es trotz allem oft Vorurteile gegenüber indigener Kunst. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, ihnen zu helfen und ihnen in Europa zu größerer Bekanntheit zu verhelfen – gerade auch, um ihre Lebensrealität, die so anders ist als unsere, teilen zu können.“

Wer unterstützt dich bei deiner Arbeit?
„Tatsächlich arbeite ich größtenteils alleine. Ich habe allerdings einen Kollegen in Paraguay, der selbst auch Künstler ist und für mich die Korrespondenz mit den Malern übernimmt. Gleichzeitig sucht mein Kollege oft die Bilder aus, die wir ausstellen. Abgesehen davon ist die Unterstützung vor allem emotionaler Natur. Da ist zum einen mein Mann, hier vor Ort, und seit zwei Jahren auch meine Schwester. Meine Familie in Paraguay unterstützt mich aus der Ferne.

Spielt dein christlicher Glaube auch eine Rolle?
„Ja, auf jeden Fall, das ist sehr wichtig. Die Ausstellung in Venedig zum Beispiel – da lief alles glatt, es gab keine Schwierigkeiten. Für mich war das ein Geschenk Gottes.“

Sind die Künstler, die du ausstellst, auch anwesend?
„Leider noch nicht, nein. Das ist natürlich mein Ziel, aber bislang sind die Flüge mit knapp tausend Euro einfach zu teuer. Generell habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, meine Faszination für diese Künstler zu vermitteln und meine Begeisterung zu teilen. Entsprechend arbeite ich gerade an einem Buch mit ergänzenden Informationen, beispielsweise ihrer Vita und ausgewählten Zitaten.

Abgesehen davon möchte ich dieser Kultur, die durch den Kolonialismus weitestgehend zerstört wurde, soweit es geht retten – ich möchte diesem Vermächtnis einen neuen Platz in unserer Welt geben. Ein Stück weit ist das zu meiner Freude schon passiert: Es gibt etwa Bibelübersetzungen in indigene Sprachen, oder die Möglichkeit, diese in der Schule zu lernen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, meine Muttersprache nicht sprechen zu können.

Gibt es da noch weitere Dinge, die du unbedingt umsetzen möchtest?
„Aktuell ist eine Ausstellung in Österreich im Gespräch. Wie gesagt ist es auch mein Ziel, die Künstler herbringen zu lassen. Falls das klappt, wäre es toll, wenn sie vor Ort malen könnten. Überhaupt wäre es schon ein großer Erfolg, wenn die Künstler die Gelegenheit hätten, ihre Lebens- und Arbeitsweisen zu vermitteln und vielleicht mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. Wichtig ist mir vor allem, vermitteln zu können, dass die Künstler ganz anders denken und arbeiten als wir. Das ist keineswegs schlecht, nur anders, als wir es kennen – und genau das ist es, was ich gerne rüberbringen möchte.“

Zur Person

Simone Kehler ist 25 Jahre alt, hat in Germersheim den Bachelor Sprache, Kultur, Translation abgeschlossen und studiert derzeit Rechtswissenschaften an der Universitat Jaume I in Spanien. Zu kontaktieren ist sie unter si.kehler@gmx.com

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