Über den Kirchturm hinaus Beständiges Leben in seiner Vielfalt

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Es fing mit einem Besuch bei Freunden an. Und einem Geschenk, dass wir in einer Mischung aus Höflichkeit und Interesse mitgenommen haben. Also mehr meine Frau als ich. Es war ein Glas mit einer Masse, die in regelmäßigen Abständen „gefüttert“ werden muss – mit Mehl. Manch einer hat inzwischen schon eine Ahnung – es geht um einen Sauerteig!

Einen lebendigen Sauerteig. Sauerteig ist eine stabile symbiotische Kultur von Milchsäurebakterien und Hefen in einem Teig von Mehl und Wasser. Milchsäurebakterien verwandeln Zucker, die die Hefen nicht abbauen können, und auf der anderen Seite verstoffwechseln Hefen Produkte der Milchsäurefermentation. Generell kann man sagen, dass die Hefen das Gas produzieren, das den Teig aufgehen lässt, und die Bakterien die Milchsäure produzieren, die für den säuerlichen Geschmack und die Enzymhemmung verantwortlich ist. Gut, die letzten drei Sätze sind aus dem Wikipedia-Artikel zum Sauerteig gemopst, aber ich gebe zu, dass mich dieser neue Mitbewohner schon fasziniert. Und nicht nur, weil es deswegen seit einigen Wochen sonntags selbstgemachte Brötchen bei uns gibt.

Lebenssichernde Nahrungsmittel, lebenstragender Glaube

Mich begeistert die Lebendigkeit der Backzutat. Und – die nahezu unendliche Lebensdauer die so ein Sauerteigansatz haben kann. Ein mir bekannter Bäcker aus dem Glantal fertigt seine Brote mit einem Sauerteig, der seinen Erstansatz in den 1950er-Jahren hatte. Er wurde inzwischen an die vierte Generation weitergegeben.

Ob zu biblischer Zeit deswegen Jesus sich selbst mit dem Brot des Lebens verglichen hat? Ich glaube eher nicht. Sein Gedanke wird eher in Richtung „Grundnahrungsmittel“ und „Alltagsspeise“ gegangen sein, die für die Menschen von großer Bedeutung gewesen sind. Für mich wird dieser Analogie zwischen dem lebenssichernden Nahrungsmittel und dem lebenstragenden Glauben an Christus durch unseren neuen Mitbewohner mit dem säuerlichen Charakter aber noch etwas hinzugefügt.

Glaube muss gefüttert werden, um zu wachsen

Nämlich: im Brot, wie im Glauben, steckt wirklich Leben! Da passiert etwas. Da geht etwas auf, vermehrt sich, bringt Schwung und Geschmack in die ganze Sache. Glaube (ich lasse das Brot jetzt einmal weg) geschieht! Manchmal will und muss er gefüttert werden, um zu wachsen. Nicht mit Mehl, sondern durch das Gebet, das innere Hinhören, durch die Gemeinschaft und noch viel mehr. Dann entfaltet sich der Glaube. Immer wieder neu. Und mit stets anderen Nuancen. Mal pfiffig, mal süß, mal salzig. Mal wie ein leckerer Kuchen an Festtagen, mal wie ein haltbares Dauerbrot, das auch durch schwierige Zeiten durchträgt. Manchmal „schmeckt“ der Glaube auch nicht so richtig, doch das kann zumindest mir auch mal mit einem Brot passieren. Und doch behält er seine Nahrhaftigkeit (oder Wahrhaftigkeit?).

Wie im Sauerteig steckt beständiges Leben im Glauben an unseren Gott. In all seiner Vielfalt, mit all den individuellen „Geschmacksrichtungen“ und doch verbunden mit den Gaben, die Herz und Seele sättigen können. Vielleicht erinnern Sie sich daran, wenn Sie das nächste Mal in ihr Brot beißen oder Sie ihren Sauerteig neu füttern. Dass es mit dem Glauben auch so ist: Er tut gut; kann die Grundlage für ein ganzes Leben sein; ist vielschichtig und voller neuer Entdeckungen. Und – wenn man sich richtig drauf einlässt – hält er Leib und Seele zusammen.

Darf es noch ein Scheibchen Glaube sein?

  • Christopher Markutzik ist Pfarrer in Sausenheim
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