Über den Kirchturm hinaus Albtraum mit Predigt und Duett

Weihwasser – oder Desinfektionsmittel?
Weihwasser – oder Desinfektionsmittel?

Ich hatte einen Albtraum: Es ist 10.15 Uhr, und ich stehe im schwarzen Talar vor dem Altar der Stephanskirche und begrüße die Anwesenden: „Liebe Gemeinde, willkommen in unserer Stephanskirche. Sie haben tatsächlich nach dieser langen Zeit noch den Weg hierher gefunden. Das freut mich. Glücklicherweise sind Sie immer noch dieselben wenigen Leute. Sie wissen ja: Ab 15 Personen kommt wieder der Riegel in die Kirchentür.

Wir haben ja genug Platz für alle, aber bitte nur dort, wo keine Absperrbänder sind. Unser Kirchendiener wird Ihnen einen der Plätze zuweisen. Sie erkennen ihn an der weißen Atemmaske, passend zur österlichen Farbe der Kirchenjahreszeit. Ich hoffe, Sie haben sich am Eingang in die Anwesenheitsliste eingetragen und Ihren Mundschutz und Ihr eigenes Gesangbuch dabei. Unsere dürfen auch nach sieben Wochen Pause wegen Virusverseuchung nicht genommen werden. Sie sehen ja, wie der winzige rote Coronaschlingel schon den ganzen Umschlag befallen hat – keine Sorge, nur ein kleiner Scherz für die Lachmuskeln. Übrigens: Nein, das Schälchen am Eingang war kein Weihwasser, sondern Desinfektionslösung. Wenn Sie das anders vermutet haben, dann sind Sie bedauerlicherweise konfessionell in die Irre gegangen und sollten lieber in Ihre katholische Kirche nach Boßweiler. Kann ja passieren nach so langer Zeit.

Auf das richtige Opfer achten

Natürlich ist unser Eingangslied am heutigen 10. Mai das Lied EG 166: „Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein“. Apropos führen: Bitte halten Sie auch beim Hinausgehen den Mindestabstand von zwei Metern ein und achten Sie auf die Abstandsmarkierungen. Das kennen Sie ja von der Supermarktkasse. Draußen steht dann das Körbchen für das Opfer zugunsten der Gemeinde. Denken Sie daran, dass wir bei Münzeinzahlungen bei der Sparkasse neuerdings Gebühren zahlen müssen, die unsere Einnahmen auffressen. Also lassen Sie es rascheln!

Das nächste Lied ist: „Lob Gott getrost mit Singen, frohlock, du christlich Schar! Dir soll es nicht misslingen, Gott hilft dir immerdar.“ Denn heute ist Sonntag Kantate, ausgerechnet, wo wir keinen richtigen Gemeindegesang haben dürfen. Keine Sorge: Sie machen es so wie immer oder summen einfach die Melodie mit.

Schweißtreibend

Nur unser Organist darf als Solist auf der abgesperrten Empore kräftig mitsingen. Ich mache vom Altarraum aus mit, dann sind wir offiziell ein Duett. Wie gesagt: Kantate, singet – also mindestens zwei. Soweit die heutigen Vorbemerkungen. Dann wollen wir mal anfangen: Im Namen der aktuellen Corona-Schutzordnung und – ach ja – des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

Ich wachte schweißgebadet auf und machte mich zur Ablenkung an den vorgesehenen Predigttext.

  • Johannes Fischer, Ev. Pfarrer für Ebertsheim, Mertesheim, Quirnheim und Kindenheim.
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