Über den Kirchturm hinaus Über die Verbindung allen Lebens

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„Ich bin Leben, das leben will – mitten im Leben, das leben will.“ Diesen Satz von Albert Schweitzer habe ich im vergangenen Jahr entdeckt, und er hat mich intensiv beschäftigt. In der Corona-Zeit bin ich fast jeden Tag im nahen Wald oder über die Felder rings um unser Dorf spazieren gegangen.

Mit offenen Augen und Ohren habe ich mich „hinein-gespürt“ in die Natur. Da sind die Gräser und Feldblumen, die Hecken und Bäume. Der rote Mohn und die blaue Kornblume – es gibt sie noch. Es ist mir bewusst geworden: Der Wald besteht nicht nur aus Bäumen! Da wachsen Gräser und kleine Blumen, selbst auf den Wegen. Verschiedene Moose breiten sich aus, an Bäumen und im feuchten Waldboden. Pilze ernähren sich vom faulenden Holz. Mächtige Eichen und Buchen stehen neben kranken und abgestorbenen Kiefern.

Das alles ist „Leben“, wie ich selbst „Leben“ bin. Das lebt, wie ich selbst lebe. Und ich frage mich: Was ist das überhaupt, was ist das Leben? Ich weiß, alles, was lebt, ist miteinander verwandt, hat einen gemeinsamen Stammbaum. Ich denke an eine mächtige Eiche am Weg zum „Lauberhof“. Ich habe sie mit der Hand berührt: „Du lebst, Du mein Bruder. Du lebst, wie ich lebe.“ Und so habe ich auch den Grashalm in meine Hand genommen, habe über das Moos gestreichelt und Blüten bewundert. Die kleinsten Blüten auf dem Gehweg sind oft schöner als die schönsten gezüchteten Rosen im Garten. Mit der gleichen Aufmerksamkeit gehe ich über die Felder – überall „Leben“.

So oder so ähnlich wird es Schweitzer ergangen sein, dass er diesen Satz gefunden hat: „Ich bin Leben, das leben will – mitten im Leben, das leben will.“ Dazu gehören auch die Tiere, die Vögel: die Spatzen, Raben und Elstern, Tauben und Spechte und der Fischreiher, der aus der „Erdekaut“ kommt und in einer feuchten Brachwiese nach Nahrung sucht. Nicht zu vergessen die Rehe im Wald und das flinke Eichhörnchen.

Ich habe gelernt, mit Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, Respekt und Ehrfurcht durch die Natur zu gehen. Wir Menschen leben nicht nur in der Natur, sondern auch von ihr. Der „Fromme“ unter uns wird sich anregen lassen, ein stilles Gebet zu sprechen, einen „Sonnengesang“ (Franz von Assisi), einen Lobpreis auf Gott, den Schöpfer – gerade jetzt, wenn die Natur ihr „Ostern“ feiert.

  • Norbert Kaiser ist Pfarrer in Ruhe

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