Karlsruhe „Afghanistan war ein freies und friedliches Land“

«Karlsruhe.» Eine junge Frau sitzt in Freizeitkleidung auf dem Kopf der großen Buddha-Statue von Bamiyan. Langmähnige, junge Europäer feiern im Herzen von Kabul in farbenfrohen Gewändern eine Party und ein voll bepackter, klappriger VW-Bus schlängelt sich durch die Straßen einer pakistanischen Großstadt: Die verblichenen Urlaubsbilder von Borghild Wicke-Schuldt sind die bildhaften Dokumente aus der Hochzeit der Hippie-Bewegung.

„Die Welt hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten doch stark verändert“, sagt die 64-jährige Pädagogin mit Blick in ihr altes Reisealbum. „Und eine solche Reise ist heute aus vielerlei Gründen leider nicht mehr möglich.“ In den 1970er Jahren war der sogenannte Hippie-Trail von Europa über Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan und Indien bis nach Nepal allerdings eine vielbefahrene Touristikroute und das Green Hotel in Kabul einer der bekanntesten Treffpunkte einer ganzen Generation von Blumenkindern. Auch Wicke-Schuldt hatte sich im Jahr 1974 auf den Weg gemacht und war gemeinsam mit zwei Männern und zwei Frauen in zehn Wochen von Berlin nach Katmandu gereist. Ihre Erlebnisse hatte sie noch unterwegs handschriftlich zu Papier gebracht. Bereits 1985 hat Wicke-Schuldt das detaillierte Reisetagebuch mit der elektrischen Schreibmaschine ins Reine geschrieben und seither immer wieder guten Bekannten zum Lesen gegeben. „Die Reaktionen waren bislang eigentlich ausschließlich positiv“, erzählt Wicke-Schuldt – und deshalb habe sie sich nun auch zur Veröffentlichung ihrer persönlichen Erinnerungen entschlossen. In den kommenden Tagen soll das 272 starke Buch mit dem Titel „Berlin, Kabul, Katmandu“ erscheinen. Sie wollte das Buch unbedingt vor der Karlsruher Ausstellung „Bewegt Euch! 1968 und die Folgen in Karlsruhe“ im Stadtmuseum herausbringen, so Wicke-Schuldt. „Denn meiner Ansicht dokumentiert die Beschreibung dieser Reise auch die Aufbruchsstimmung der 68er-Bewegung.“ Deshalb hat sie das damalige Manuskript auch nicht umgeschrieben und lediglich durch ein Nachwort mit einer persönlichen Einschätzung zur politischen Situation in Afghanistan ergänzt. „Schließlich spiegelt auch die Sprache, mit der ich damals das Tagebuch schrieb, den Zeitgeist dieser Ära wieder“, begründet Wicke-Schuldt diese Entscheidung. Wicke-Schuldt wuchs in Ettlingen auf und ging ins selbe Gymnasium wie der spätere RAF-Terrorist Christian Klar. Nach dem Abitur zog es die Eichendorff-Schülerin zum Sozialpädagogik-Studium nach Berlin und bereits in ihren ersten Semesterferien meldete sie sich auf eine Annonce im studentischen „Tipp“-Magazin. Zwei Männer und zwei Fahren suchten eine Mitfahrerin für die Reise entlang des Hippie-Trails und bereits nach einen kurzen Kennenlernen begannen für Wicke-Schuldt die Reisevorbereitungen mit Impfung und dem Erlangen der notwendigen Ausweisdokumente. „Die Lust auf ein Abenteuer war wohl die wichtigste Motivation für diese Reise“, erinnert sie sich. Drogen hätten in ihrer Reisegruppe im Gegensatz zu zahlreichen anderen Hippies auf dem Trail (im christlichen Friedhof von Kabul gab es sogar ein eigenes Gräberfeld für die westlichen Drogentoten) keine Rolle gespielt. Die Vision von freier Liebe und die Suche nach sexuellen Abenteuern dagegen schon. „Meine Töchter fanden einige Abschnitte aus dem Tagebuch doch recht peinlich“, sagt Wicke-Schuldt, die seit 35 Jahren verheiratet ist und in Grötzingen in bürgerlichen Verhältnissen lebt. Doch auch in den wilden 70ern war die Liebe teilweise stärker als die Triebe und am Ende des Trips waren zwei ihrer Reisegefährten ein Paar. Wenn Wicke-Schuldt nach über vier Jahrzehnten in ihren alten Tagebüchern blättert, erzeugen die Erinnerungen überaus gemischte Gefühle. „Natürlich war das eine aufregende Zeit. Vieles war politisch aufgeladen und die Leute sind für ihre Freiheit auf die Straße gegangen“, erinnert sie sich. Auf der anderen Seite überkommt sie beim Gedanken an die heutige Situation in Afghanistan auch eine tiefe Traurigkeit. „Afghanistan war ein wahres Paradies für die Hippie-Kultur. Die Gastfreundschaft und die Hilfsbereitschaft der Leute waren genauso überwältigend wie die vielen Kulturdenkmäler und die atemberaubende Landschaft. Der Islam war konservativ, aber entspannt“, betont Wicke-Schuldt. Und im Green Hotel und den anderen Gästehäusern entlang der bei Hippies beliebten Chicken Street in Kabul sei bei cooler Atmosphäre den ganzen Tag über westliche Rockmusik gelaufen. Wenn sie heute bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für den Flüchtlingshelferkreis Grötzingen jungen Afghanen von ihrer damaligen Reise erzähle, säßen ihr die Zuhörer meist mit großen Augen gegenüber. „Die jüngeren Flüchtlinge aus Afghanistan können kaum glauben, was für ein freies und friedliches Land Afghanistan einmal war“, so Wicke-Schuldt. „Aber durch sämtliche Stellvertreterkriege und die Indoktrinierung der USA ist der radikale Islam dort immer stärker geworden.“ Lesezeichen Erscheint in Kürze: „Berlin, Kabul, Katmandu“, Hamburger Selbstveröffentlichungsverlag Tredition, 272 Seiten, https://tredition.de.

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