Bockenheim / Obrigheim Zaun als Lebensretter für die Kiebitze
Gerardo Unger Lafourcade ist begeistert. Schon auf dem Weg zu der umzäunten Fläche auf der Gemarkung von Bockenheim hat der Naturschützer am Montagmittag zwei Kiebitz-Nester auf einem Acker entdeckt. „In einem Gelege liegt bereits ein Ei“, sagt der Leiter des landesweiten Kiebitzprojeks bei der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (Gnor). „Bei diesen Vögeln ist es normal, dass sie täglich ein Ei legen, bis es im Schnitt vier Eier pro Nest sind. Dann beginnt die 26- bis 28-tägige Brut“, weiß er.
Wenige Minuten später an der umzäunten Fläche, die an die Gemarkung von Obrigheim grenzt, stellt sich Thomas Dolich, der Vizepräsident der Gnor, als Vertreter der „Datensammler“ vor. Vor allem Mitglieder dieses Naturschutzverbandes tragen die Zahlen zu vielen Vogelarten zusammen, die alljährlich in der Broschüre „Vogelmonitoring in Rheinland-Pfalz“ veröffentlich werden. 87 Bruten weist die Dokumentation für den Kiebitz im Jahr 2021 landesweit aus, davon 14 im Landkreis Bad Dürkheim. 71 Gelege waren es ein Jahr zuvor im Land. Das bedeutet einen dramatischen Rückgang. Denn bis in die 1990er Jahre hinein hat es in Rheinland-Pfalz noch mehr als 1000 Kiebitz-Brutpaare gegeben.
Für Bodenbrüter optimal
Steffen Beccard, der Leiter des Schutzprojekts bei der Südzucker AG, sei gleich vom Vorschlag Unger Lafourcades überzeugt gewesen, auf der gut drei Hektar großen Ausgleichsfläche des Unternehmens etwas für die bundesweit als stark gefährdet geltende Vogelart zu tun. „Die Fläche ist optimal für den Kiebitz“, sagt er. Als Bodenbrüter, der Flächen mit niedrigem Bewuchs bevorzugt, zählen er und sein Gelege nicht nur zum Beutesprektrum von Greifvögeln. Auch Vierbeiner wie Füchse und Waschbären verschmähen ihn nicht.
„Falls ein Gelege geplündert wird, können Kiebitze in einer Saison bis zu drei weitere Bruten beginnen“, teilt Unger Lafourcade mit. Oft wechseln die Vögel beim Verlust der Eier den Standort. Deshalb rechnet er damit, dass sich in den nächsten Tagen weitere Kiebitze auf der vor wenigen Wochen eingezäunten Fläche niederlassen, auf der sich bereits zwei Gelege befinden. Der mannshohe Zaun mit drei unter Strom stehenden Drähten, je einer auf Schienbein-, Bauch- und Kopfhöhe, soll Füchse und andere vierbeinige Beutegreifer fernhalten.
„In anderen Bundesländern wurden mit Zäunen zum Kiebitz-Schutz gute Erfahrungen gemacht“, informiert Dolich. Als Beispiel nennt er ein Projekt in der Wetterau in Hessen. In Rheinland-Pfalz habe man bisher vor allem auf die Zusammenarbeit mit Landwirten gesetzt. Diese nähmen Rücksicht, wenn die Naturschützer sie auf ein Gelege aufmerksam machten. Um Füchse und andere Räuber vom Zugriff auf die Nester abzuhalten, setzten die Ehrenamtlichen seit einiger Zeit Schutzkörbe ein. Das habe durchaus Erfolge gebracht. Doch fielen immer noch etliche Jungvögel Beutegreifern zum Opfer; denn diese verlassen als Nestflüchter zügig den Schutz der Körbe. Diese Gefahr würde ein Zaun verringern, ist Dolich überzeugt. Unger-Lafourcade sagt, in Ostdeutschland habe die Zaun-Methode zur Rettung der Großtrappe beigetragen.
80 Prozent Landesförderung
Nach Angaben des Südzucker-Werkleiters in Offstein, Steffen Hammer, sind in die Anlage der Ausgleichsfläche mit mehreren Teichen 50.000 Euro investiert worden. Die darin enthaltenen Kosten für den Zaun liegen bei rund 25.000 Euro. Dank der Förderung durch das Land in Höhe von 80 Prozent hat das Unternehmen selbst 20 Prozent der Zaunkosten übernommen. „Ich danke dem ganzen Team für die Umsetzung dieser Maßnahme“, sagt er. „Die Natur ist unser Partner“ – das sei nicht nur der langjährige Werbeslogan des Unternehmens, sondern ein Motto, das gelebt werde. Auf der Fläche sollen übrigens ab Mai eine Handvoll Rinder weiden, um den Bewuchs dauerhaft kiebitzfreundlich kurz zu halten.
„Wir fördern die Zaunerrichtung mit Mitteln der Aktion Grün“, informiert Andreas Kiefer von der Abteilung Naturschutz und nachhaltige Entwicklung des Landesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität. Das Ziel des Programms ist die Erhaltung der Artenvielfalt. Aus diesem Grund unterstütze man auch das im Jahr 2019 gestartete landesweite Kiebitz-Schutzprojekt der Gnor.
Bürgermeister lobt das Projekt
Gunther Bechtel (SPD), der Ortsbürgermeister von Bockenheim, findet das Artenschutzvorhaben toll. „Natur- und Klimaschutz entsprechen dem Zeitgeist“, sagt er. Mit solchen und weiteren Projekten der Südzucker AG sowie Tochterunternehmen, etwa der Herstellung von veganem Eiweiß aus Ackerbohnen, sieht Bechtel die ökologische Wende in der Region kommen. „ Südzucker ist der größte Arbeitgeber in der Gegend“, betont er. Wie die weiteren Projektbeteiligten erhofft sich der Ortsbürgermeister bei der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz des Zauns für den Kiebitzschutz. Die Fläche im Eigentum von Südzucker grenzt unmittelbar an das 2005 ausgewiesene EU-Vogelschutzgebiet „Klärteiche Offstein“ an.