Hertlingshausen Mit dem Publikum über ein Tabu ins Gespräch kommen

 Boris Ben Siegel und Angelika Baumgartnerin den „Bordellgeschichten“.
Boris Ben Siegel und Angelika Baumgartnerin den »Bordellgeschichten«.

Nach einer Erhebung des Social Sciences Research Journal gehen in Deutschland jeden Tag 1,2 Millionen Männer zu einer Prostituierten, jeder fünfte sogar regelmäßig. Wie viele Frauen ihrerseits Callboys aufsuchen, ist nicht bekannt. Der Carlsberger Verein „Jeder kann was“ greift das Tabu-Thema in einer Theater-Talk-Performance mit dem Titel „Bordellgeschichten“ auf. Dabei steht keinesfalls das Unanständige und Anzügliche im Fokus.

„Nein, es geht an diesem Abend nicht um schlüpfrige Geschichten.“ Das versichert Volker Bolay, Vorsitzender des Vereins „Jeder kann was“, zu den „Bordellgeschichten“ am kommenden Samstag. Bei der Theater-Talk-Performance sähen und hörten die Besucher des Karolinenhofs im Carlsberger Ortsteil Hertlingshausen vielmehr „biografisch authentische Episoden von Männern und Frauen, die in zwei Welten leben, weil sie es so wollen, weil sie dazu gezwungen wurden oder weil sie einfach über-leben wollen“, erklärt der Psychotherapeut die Auftaktveranstaltung seiner diesjährigen Kulturreihe, bei der es wie immer darum geht, durch künstlerische Aktivitäten einen Beitrag zu Integration und Inklusion zu leisten.

„Sex gegen Geld ist ein umstrittenes Themenfeld in der Gesellschaft und der feministischen Bewegung“, betont Bolay. Der Schauspieler Boris Ben Siegel vom Theater Oliv stehe seit Jahren mit der Mannheimer Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution in Kontakt. Als dieser das Buch einer Sexarbeiterin kennenlernte, in dem ganz offen über den sonst eher im Verborgenen ausgeübten Beruf berichtet wird, wollte er sich auch künstlerisch mit dem beschäftigen, was in Bordellen passiert und warum. In der freischaffenden Kollegin Angelika Baumgartner fand er eine Mitstreiterin für sein Bühnenprojekt. Die beiden sprachen mit Frauen, die dem Rotlichtmilieu den Rücken gekehrt haben, mit aktiven Prostituierten, Freiern, Psychologen, Bordellbetreibern, Ärzten, Beratern, der Polizei und auch einem Pfarrer. Und für die wahren Geschichten haben sie eine besondere, interaktive Art der Aufführung gewählt.

„Fragen und Kommentare des Publikums sind durchaus erwünscht und geben Stoff für die Fortsetzung der Performance“, erläutert Bolay. „Wir möchten den Zuschauern die Möglichkeit geben, sich diesem Thema genauso anzunähern wie jeder anderen zwischenmenschlichen Begebenheit“, sagt Siegel und führt aus: „Wir möchten das sogenannte älteste Gewerbe im Hier und Heute zeigen. Es ärgert mich, wenn die einen nur weggucken oder nicht darüber reden wollen, und die anderen an viel Geld denken oder nur an Kriminalität und Zwangsprostitution.“ Letzteres habe durch das 2017 reformierte Prostituiertenschutzgesetz nicht bekämpft werden können. „Aber es gibt auch die andere Seite: Menschen, die freiwillig und gern ihren Körper verkaufen“, sagt Bolay.

Termin

„Bordellgeschichten“, Samstag, 23. März, 19.30 Uhr, Karolinenhof, Unterdorfstraße 7, Carlsberg. Platzreservierung ist unbedingt erforderlich, Telefon 06356 8634, E-Mail: info@jekawa.de. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

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