Grünstadt Kleiner Mann wird großer Retter

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Ist nur jemand, der etwas Spektakuläres vollbringt, ein Held? Verdient einer weniger Anerkennung, der jahrzehntelang seinen Job oder sein Ehrenamt gut macht, im Stillen unentbehrlich ist, aber nicht besonders auffällt? Diesen Fragen widmet sich das Stück „Voll durchs Feuer“, das Manfred Kessler zum Kultursommer Rheinland-Pfalz 2015 geschrieben und am Samstag im Feuerwehrgerätehaus in Grünstadt als Multimedia-Show aufgeführt hat.

Für die städtische Kulturveranstaltung hat die Wehr ihre Fahrzeuge aus der 600 Quadratmeter großen Halle verbannt, nur wenige bleiben als Dekoration stehen. Vor der Bühne sind ebenso viele Stühle besetzt wie leer. Fanfarenklänge. „Das widerrechtlich an der Feuerwehrzufahrt abgestellte blaue Damenfahrrad muss sofort verschwinden“, hebt Kessler, Gründer des Theaters Chapiteau in Burgschwalbach, als der brave Floriansjünger Heinz Schmelzenbach mahnend den Finger. Ob jemand wüsste, wem es gehört. Verunsichertes Schweigen. Nachdem der Wehrmann den Zuschauern erklärt hat, dass sie nicht am Feuerlöscher spielen dürfen, erzählt er seine Lebensgeschichte, die an einem verregneten Novembertag im hessischen Nesselborn begann. 50 Jahre habe er nun schon Dienst bei der Feuerwehr verrichtet, Brände gelöscht, Menschen gerettet, immer gewissenhaft und zuverlässig. „Ich war auch bei der Flutkatastrophe in Hamburg dabei“, berichtet er und fügt stolz hinzu: „In der ganzen Zeit war ich nur neun Tage krank.“ Der Solo-Künstler füllt ein paar kleine Gläschen mit einer klaren Flüssigkeit und trägt sie ins Publikum. „Da ist ja wirklich Schnaps drin!“, staunt ein Besucher, als er an dem gereichten Glas nippt. In dem halben Jahrhundert bei den Brandbekämpfern, so Schmelzenbach weiter, seien jedoch stets andere Kameraden die Karriereleiter hinaufgeklettert. Er selbst sei unten geblieben und habe sie festgehalten. Gern würde er denen, die oben stehen, mal die Meinung sagen, ist einem Zwiegespräch zu entnehmen, das der Wehrmann nach einer angedrohten Dienstaufsichtsbeschwerde mit sich selber führt. Dabei ist Kessler zweimal gleichzeitig auf der Bühne: einmal vor der Leinwand in einem grellen Lichtkegel und einmal als Filmaufnahme in einem etwas gedämpfter beleuchteten Kreis. Der Dialog wirkt echt, jedes Wort und jede Bewegung des einen passt zur Reaktion des anderen. Kessler schlüpft nicht nur mit seiner altmodischen Feinripp-Unterhose in die korrekt bereit gelegte Uniform, sondern auch in mehrere Rollen – jeweils überzeugend. So hat er mit blonder Perücke und in Blümchenkittel einen kurzen Auftritt als die Putzfrau Traudl Sauberfee, der im Übrigen das blaue Damenfahrrad gehört. Sie schwärmt: „Wenn′s so richtig schön brennt, dann ist das wie ein Sonnenuntergang auf Mallorca.“ In einem roten Mantel mit Fransen und einem mit Federn geschmückten Helm, dessen Nasenschutz zu einem Schnabel ausgewachsen ist, stellt der Autor und Schauspieler den Roten Hahn dar. Dieser steckt während Schmelzenbachs Jubiläumsfest eine Mülltonne in Brand. Zu hören sind die fröhlich Feiernden. Zu sehen ist der Schatten des Feuerteufels, der hinter der Leinwand entlang huscht, bis ein Arm mit Streichholz an der Seite zum Vorschein kommt und den Abfalleimer entzündet. Kurz schleicht der Brandstifter auch fies lächelnd durch den Zuschauerraum. Das Multimediale, bei dem es unter anderem ein Wiedersehen mit dem einstigen Tagesschausprecher Karl-Heinz Köpcke gibt, lockert das Theaterstück angenehm auf. Unterhaltsam ist es selbst, als die Technik streikt. Aber Michael Spiegel, am Samstag zum 20. Mal Herr über Laptop und Scheinwerfer, hat die Zwangspause nach wenigen Minuten wieder beendet. Nun erlebt das Publikum, dass der Rote Hahn nahezu jede Nacht sein Unwesen treibt, die Kleinstadt Nesselborn mit lautem Kikeriki und lodernden Flammen in Atem hält. Beim Großbrand des Rathauses gelingt es Schmelzenbach, den Feuerteufel zu schnappen. Als Retter seines Heimatortes (der Rote Hahn ist tot) und eines Babys (es lebt), sieht man den einfachen Feuerwehrmann plötzlich im Fernsehen. Er ziert die Titelseiten der Zeitungen und wird mit dem Oberhessischen Verdienstkreuz geehrt. Er freut sich sehr – doch hat er in der einen Nacht mehr geleistet als in 50 Jahren zuvor?

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