Grünstadt Hoch hinaus und weit zurück

Kleine, interessierte Gruppen hat Presbyter Marius Pollmer beim Fest der offenen Höfe am Sonntag durch das protestantische Gotteshaus in Bissersheim geführt. Neben geschichtlichen Details berichtete er über bauliche Veränderungen, Kirchentraditionen und lieferte kleine Anekdoten. Höhepunkt war die Glockenturmbegehung.

Über eine sehr steile steinerne Treppe gelangt man ohne Umweg zum Portal des Sakralbaus, das bei geöffnetem Tor den Blick direkt auf den Altar freigibt. Neben dem hellen Kirchenschiff ragt der Glockenturm mit seinen schwarzen Schindeln in die Höhe. Mit Pollmer, seit Jahren als Presbyter im Amt, ging es erst einmal über das Au-ßengelände. Erste urkundliche Erwähnungen einer Kapelle zur Heiligen Sankt Margarethe an dieser Stelle habe es im 13. Jahrhundert gegeben, erklärte er. Das Alter des heutigen Gebäudes verrät dagegen die Jahreszahl der Kirchweihe von 1755, die im Portal eingefasst ist. „Das Ungewöhnliche an unserer Kirche ist die Ausrichtung des Kirchenschiffs von Süd nach Nord statt von Ost nach West“, sagte der Presbyter. Das Grundstück sei damals so klein gewesen, dass es keine andere Bauweise zuließ, als die Kirche bei ihrem Neubau ab 1738 um 90 Grad zu drehen. „Aufgrund von Geldmangel stockten die Arbeiten, sodass bis 1744 nur ein Teil der Mauern stand“, erzählte Marius Pollmer. Es habe sogar ein Gerichtsverfahren gegeben, weil sich das Hohe Stift Worms und die Kellerey Dirmstein weigerten, zu zahlen, obwohl sie zur Kostenübernahme verpflichtet gewesen seien. Schließlich habe es Pfarrer Christoph Friedrich Hennemann geschafft, dass der Bau 1755 beendet werden konnte. Im Inneren der Kirche herrscht ganz nach der Tradition Martin Luthers schlichter Schmuck vor. Den Besuchern stach allerdings sofort die Kanzel ins Auge, die mit Bildnissen der vier Apostel Matthäus, Markus, Lukas und Johannes verziert ist. „Was fällt Ihnen auf?“, fragte Marius Pollmer in die Runde. Das Bildnis von Martin Luther fehle, kam es schnell aus der Gruppe. „Genau richtig. Im oberen Teil der Kanzel war früher ein Bildnis von Luther mit der Gans“, erzählte Pollmer. Allerdings sei dieses im Zuge von Renovierungsarbeiten 1950 übermalt worden. Auch der Eichenholzaltar zeichnet sich durch Einfachheit aus: Vorne sind der Kelch mit der Hostie und das Osterlamm mit der Fahne als Schnitzereien dargestellt. Auf der Rückseite entdeckte die Gruppe die Initialen „LS“ sowie die Jahreszahl 1760. Der Altar sei von Lorenz Schmitt in diesem Jahr gestiftet worden, sagte der Kirchenführer. Auf der Empore darüber ist die Orgel zu sehen, deren hölzerne Engel in die Leere greifen: Ihre Instrumente, vermutlich Trompeten, sind ihnen im Lauf der Zeit abhanden gekommen. „Der technische Teil der Orgel stammt aus dem Jahr 1932, während das denkmalgeschützte Gehäuse von 1770 ist“, weiß Pollmer. Der untere Teil des Glockenturmes sei wesentlich älter als der Aufbau des Turmhelms von 1776“, erklärte er, während die Gruppe langsam eintrat und den Raum auf sich wirken ließ. Früher sei dies der Chorraum der Kapelle gewesen, berichtete er. Die Decke zieren zwei wulstige Kreuzrippen. Besondere Bedeutung werde dem kleinen Ecksäulchen unter einem der Wandvorsprünge zugespro-chen. Es lasse sich vermuten, dass diese aus römischer Zeit stamme, meinte Pollmer. Schließlich ging es hoch hinaus auf den Turm. Stufe für Stufe stieg die Gruppe empor und schaute interes-siert auf die verschieden großen Glocken. „Die älteste stammt aus dem Jahr 1818“, sagte Pollmer. Anlässlich der Kirchenvereinigung der reformierten und lutherischen Konfessionen seien zwei Glocken gegossen worden, von denen jedoch eine 1917 zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurde. Ersetzt wurde der Verlust 1921. „Allerdings hatte eine dieser Glocken denselben Ton wie die Glocke von 1818“, erklärte Pollmer. So sei 1932 die älteste Glocke eingeschmolzen und auf einen neuen Ton gegossen worden. Heute läute die Glocke zum Vater Unser. Die Vierte im Bunde ist eine Stif-tung des Ehepaars Karl und Charlotte Seltsam, das im Zweiten Weltkrieg beide Söhne verlor. Diese Glocke erklingt heute, wenn ein Kirchenmitglied verstorben ist. (jnl)

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