Grünstadt Der Time-Warp findet nicht statt

Reis flog aus vollen Händen, auch die Zahl der Klopapierrollen, die durch die Luft zischten, war keineswegs gering, aber zum stilechten Hüftschwung zum Time-Warp konnte sich das Publikum beim ersten Open-Air-Film zum Rock-im-Hinterland-Festival nicht entschließen. 100 Fans der „Rocky Horror Picture Show“ waren auf den alten Albsheimer Sportplatz gekommen; die Veranstalter sahen damit ihre Erwartungen erfüllt und stellten eine Fortsetzung beim nächsten Festival in Aussicht.

Monumental wirkt die Leinwand, die sich vor der eigentlichen Bühne auf dem Festivalgelände in die Luft rockt. Doch das, was wie massive Rohre aussieht, ist in Wirklichkeit pressluftgefülltes Plastik, mit Seilen wie ein Zelt abgespannt, rasch von einem Kompressor aufgepumpt, rasch wieder in sich zusammensinkend, falls beispielsweise ein Gewitter naht – Oliver Lebert vom Grünstadter Europa-Kino ist voll des Lobes für die Konstruktion, hebt die Vorzüge gegenüber einer metallenen Gerüststellage hervor. Derweil ist der Platz durchaus schon belebt, aber alles andere als voll. Lebert dämpft etwaige Erwartungen: Es sei die Premiere, erst mit der Wiederholung steige erfahrungsgemäß – er verweist auf seine Kino-Vino-Reihe – die Besucherzahl. Wenn 100 Leute kämen, sei er für’s erste zufrieden und zum Weitermachen ermuntert. Das lässt sich derweil noch nicht absehen. Noch ist es hell auf dem Platz, doch ein Probelauf der Projektionsapparatur offenbart erstaunliche Leuchtkraft auch bei relativer Helligkeit. Natürlich wird digital projiziert – 35-Millimeter-Kopien werden seit Jahresanfang überhaupt nicht mehr vertrieben. Die Lichterketten gehen an, die Plastikstuhlreihen füllen sich, der singende Mund, quer über die ganze Leinwand reichend, kündigt den Beginn des frechen Grusel-Musicals an. Das lustvolle, konventionssprengende, aber ansonsten weithin sinnfreie Spiel mit den Geschlechterrollen, die in den 1970er Jahren in Frage gestellt wurden, macht immer noch Spaß, wirkt aber irgendwie völlig aus der Zeit gefallen. Es sind vor allem Menschen mehr oder weniger knapp diesseits und jenseits der 50, die sich auf dem Sportplatz versammelt haben. Ganz wenige junge Gesichter. Und unter ihnen fällt der Satz: „Wir sind wahrscheinlich zu jung für sowas.“ Und in der Tat, die sozialen Standards, an denen der Film kratzt, sind längst wieder restituiert, junge Frauen und Männer gleichen optisch durchaus Janet und Brad, die durchs verwunschene Filmschloss taumeln. Diese Gedanken unterbricht Oliver Lebert und meldet eine Punktlandung: „Wir haben unser Ziel erreicht, es sind 104 oder 105 Besucher.“ Na also. Wenn es nur nicht so kalt wäre: Bei der raschen Heimfahrt zeigt das Autothermometer zehn Grad. (hap)

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