Grünstadt 50 Jahre Freude an geistlicher Musik

Zweifellos ein Glanzpunkt der Kantoreigeschichte: Mendelssohns „Elias“ am 2. Juni 1985 in der Martinskirche, geleitet von Friede
Zweifellos ein Glanzpunkt der Kantoreigeschichte: Mendelssohns »Elias« am 2. Juni 1985 in der Martinskirche, geleitet von Frieder Gutowski (ganz links), mit Waldemar Wild (daneben) in der Titelpartie.

Kirchenmusikdirektorin Katja Gericke-Wohnsiedler – sie ist erst die dritte feste Leiterin der Chorgemeinschaft – hat sich die Mühe gemacht, nach den Anfängen zu fahnden. 1967 habe es in den kleineren pfälzischen Städten noch gar keine hauptamtlichen evangelischen Kirchenmusiker gegeben, weder in Bad Dürkheim, noch in Kirchheimbolanden, oder in Grünstadt. An der Martinskirche, so berichtet sie weiter, existierten Reste einer Chorgemeinschaft, gewissermaßen passive Mitglieder, aber gesungen wurde nicht mehr. Die Initiative zur Gründung der Kantorei kam dann von außen, nämlich vom Gymnasium. Manfred Peters (Weisenheim am Berg) war frisch als Musiklehrer an die Schule gekommen. Er war damals noch nicht der Vorkämpfer neuer, experimenteller Musikformen, als der er später weithin bekannt geworden ist, hatte sich aber gleichwohl musikalisch schon einen Namen gemacht: als Interpret Alter Musik mit der Blockflöte, die damals als Instrument im Bemühen, der originalen Klanggestalt alter Musik wieder nahezukommen, statt ihr moderne Musiziergewohnheiten überzustülpen, wiederentdeckt wurde. Sein damaliges Interesse galt demgemäß der Musik des Barockzeitalters, und vom Gymnasium aus gründete er mit älteren Schülern, Lehrern und Eltern einen Konzertchor, der von Anfang an Grünstadter Kantorei hieß und mehrfach Bach-Kantaten und andere geistliche Musik jener Epoche in der Martinskirche aufführte. Gesangssolisten und Instrumentalisten auf professionellem Niveau aus Manfred Peters’ Umfeld waren ebenfalls mit von der Partie, so dass damalige Presseberichte beachtliches musikalisches Niveau konstatierten. Der damalige Dekan Ottmann, sagt Katja Gericke-Wohnsiedler, habe die Neugründung sehr begrüßt, sei aber so rasch verstorben, dass der erste Auftritt der Kantorei bei seiner Beerdigung war. Die Gestaltung von Gottesdiensten, die neben den Konzerten versucht wurde, wollte indes nicht recht gelingen, wohl weil dem nicht das primäre Interesse aller Beteiligten galt. So blieben Meinungsverschiedenheiten mit der Kirchengemeinde nicht aus, fasst die heutige Bezirkskantorin zusammen. Außerdem gab es unterschiedliche Vorstellungen, ob zu den Konzerten Eintritt erhoben werden dürfe – und im Resultat stand die nach wie vor sangeswillige Kantorei 1972 ohne Dirigent da. „Es gab also in Grünstadt eine hochwertige Kantorei ohne Leiter. Darauf wurde man in Speyer bei der Kirchenregierung aufmerksam“, berichtet Gericke-Wohnsiedler weiter. Der damalige Landeskirchenmusikdirektor Heinz-Markus Göttsche hatte begonnen, auch auf dem Land hauptamtliche Stellen zu schaffen – einfach weil die bisherige Struktur, dass Schullehrer den Kirchenmusikdienst versahen und weitervermittelten, zunehmend nicht mehr funktionierte. Damals sei in Planung gewesen, eine solche Stelle für die ganze Nordpfalz zu schaffen – bis nach Obermoschel. Das Dekanat Grünstadt sollte dazu zwar nicht gehören, aber weil es hier eben die dirigentenlose Kantorei gab, nahm man Grünstadt hinzu und machte es gleich zum Dienstsitz der neuen Stelle, die Frieder Gutowski 1972 übernahm und 21 Jahre engagiert ausfüllte, bis er 1993 in Ruhestand ging. „Ihm war die Gottesdienstgestaltung, die Verkündigung des Wortes Gottes, die Hauptsache, und erst dann kam das Konzert“, würdigt Katja Gericke-Wohnsiedler ihren Vorgänger. Unter Frieder Gutowski pflegte die Kantorei vor allem reinen A-cappella-Gesang ohne Instrumentalbegleitung. Sehr viel Heinrich Schütz wurde gesungen; denkwürdig ist eine wunderschöne Aufführung seiner „Musikalischen Exequien“ in den frühen 1980er Jahren, gefolgt von den herben, reichen Harmonien Hugo Distlers. Von diesen beiden Komponisten stamme der größte Teil der Noten, die sie übernommen habe, berichtet die heutige Bezirkskantorin, und setzt mit leiser Verwunderung hinzu: „Erst dann kam Bach“. Einmal jedoch brach Frieder Gutowski aus der Schlichtheit der Mittel, die er sonst pflegte, aus, und verwirklichte in mehrjährigem angespannten Einsatz „das“ große romantische Oratorium: den ergreifenden und musikalisch ungemein reichen „Elias“ von Felix Mendelssohn mit Gesangssolisten und großem Orchester. Das war für Grünstadter Verhältnisse etwas nie Dagewesenes. Gutowski lud mit gutem Erfolg Chorsänger jeder Konfession aus der ganzen Region zum Mittun auf; es war für viele die einzige Gelegenheit im Leben, sich an einem solchen großen Musikwerk zu beteiligen; nicht wenige heutige treue Kantoreisänger sind damals hinzugekommen und erinnern sich immer wieder gern daran als an ein besonders beeindruckendes Erlebnis. Gutowski wollte unbedingt die Staatsphilharmonie zur Begleitung, konnte sie aber erst ein Jahr später bekommen als geplant, so dass lange und ausgiebig im großen Saal des Altenheims Leininger Unterhof geprobt wurde. Die Aufführung mit dem großartigen Waldemar Wild in der Titelrolle prägte sich den Beteiligten tief ein. Länger als Gutowski, nun seit 23 Jahren, ist Bezirkskantorin Katja Gericke-Wohnsiedler Chefin der Grünstadter Sänger. Ausgesprochene Lieblingskomponisten habe sie, anders als ihr Vorgänger, nicht; sie liebe es, die Verschiedenheit musikalischer Möglichkeiten auszuschöpfen. Ihre Besonderheit, die in der Landeskirche als modellhaft angesehen wird, ist die intensive sängerische Arbeit mit jungen Menschen. Es gibt – neben einem Angebot musikalischer Früherziehung – mittlerweile einen Kinderchor für Grundschüler und einen Jugendchor, beide unterteilt in je zwei getrennt probende Altersstufen, die je nach Projekt zusammengeführt werden. Diese Chöre gestalten geistliche Musicals, sie üben aber genauso klassisches Repertoire ein, um gemeinsam mit der „großen Kantorei“ zu singen. Wer 2016 erlebt hat, zu welchem strahlendem Wohlklang bei gleichzeitig tadellos präziser Ausführung sich die verschiedenen Chöre bei Bachs Weihnachtsoratorium vereinigten, der wird dieser wertvollen Arbeit seine Anerkennung nicht verwehren. „Man soll allerdings nicht denken, dass das direkt zu Nachwuchs für die Kantorei führte: Die jungen Leute sind nach dem Abitur erstmal weg.“ Aber auch so ist die Chorleiterin um die Grünstadter Kantorei nicht bange: „Es waren die ganze Zeit immer rund 60 Sänger verschiedenen Alters, ohne dass wir groß Werbung machen mussten.“ Termin —Das 50-Jährige Bestehen der Grünstadter Kantorei wird am Pfingstmontag um 10 Uhr in der Martinskirche mit einem Festgottesdienst gefeiert. Die Kantorei singt Sätze von Bach und Mendelssohn, Kirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald spielt an der Orgel.

x