Grünstadt Hamlet und Beethoven treffen den Vetter aus Dingsda

Nach dem bestens gelungenen Konzert mit dem Gazarov-Trio nahm ein großer Teil des Publikums die Einladung der Kulturvereinsvorsitzenden Susanne Friedl-Haarde zu Sekt, serviert von Rosemarie Gaul, Gebäck und munteren Gesprächen in die Alte Lateinschule an.

Das führte bei einer solchen Besucherschar zu einem gewissen Gedränge, die gebotenen Leckereien reichten aber für alle. Der Anlass, das 70-jährige Bestehen des Kulturvereins, wurde nicht durch langwierige Redebeiträge in Erinnerung gerufen, sondern durch eine projizierte Bilderschau, die soviel Interesse fand, dass die, die sich in den Weg stellten, regelmäßig ermahnt wurden, die Sicht nicht weiter zu stören. Die Gründung des Kulturvereins für Grünstadt und Umgebung führt weit zurück in die unmittelbare Nachkriegszeit. Das älteste Zeugnis im Vereinsarchiv ist ein RHEINPFALZ-Blatt vom Samstag, 26. Februar 1949. Es zeigt, von Karl Unverzagt gezeichnet, die Mauern der Grünstadter Martinskirche. Seit dem Luftangriff am 6. Dezember 1942 steht sie noch immer ausgebrannt da, man sammelt Spenden zum Wiederaufbau. Dem Wiederaufbau der in der Nazi-Diktatur arg eingeschränkten Kultur widmet sich der Kulturverein für Grünstadt und Umgebung. Das genaue Datum der Gründung kennt man nicht mehr; das erwähnte Zeitungsblatt berichtet über ein Konzert des neuen Vereins mit der Grünstadter Pianistin Emilie Schmitt. Sie sollte die ersten Jahrzehnte des Vereins prägen. Erster Vorsitzender des neu gegründeten Vereins ist Karl Sander, Lokalredakteur bei der RHEINPFALZ und zeitweise der im Dritten Reich unterdrückten „Grünstadter Zeitung“ des örtlichen Verlages Sommer, die jetzt ein gutes Jahr lang vergeblich ein Comeback versucht. Das Kulturprogramm des Jahres 1949 ist ambitioniert: im März ein Kammerkonzert und „Des Teufel General“ von Zuckmayer, gespielt vom Wormser Stadttheater, dann ein bunter Abend als Werbeveranstaltung für den Verein, eine Goethe-Feier, später ein Konzert des Pfalzorchesters, der „Eingebildete Kranke“ von Molière. Doch schon im März 1950 schlägt Karl Sander Alarm: Die „Gefolgschaft“ fehle, sprich: die Säle seien so leer, dass jeder Kulturabend Defizit mache und man Gastspiele abgesagt habe, weil keine Vorverkaufskarten geordert wurden. Da helfen auch Busse nicht, die das Publikum in den umliegenden Dörfern aufsammeln. Karl Sander gibt deswegen bald auf. Den Vorsitz übernimmt Emilie Schmitt. Das ist insofern ehrlich, als der Kulturverein auch den Zweck hat, der späteren Grünstadter Ehrenbürgerin eine Auftrittsplattform zu bieten. Anderseits hat sie die Kontakte, überregional renommierte Künstler nach Grünstadt zu holen. Die seinerzeit namhafte Pianistin Elly Ney, der Cellist Ludwig Hölscher gastieren mehrfach, im Jakobssaal und auf der Stadthallenbühne werden „Hamlet“ und der „Vetter aus Dingsda“ gespielt, Barbara Rütting, O.W. Fischer, Hans-Joachim Kulenkampff und andere Berühmtheiten treten auf, es gibt bis in die 1980er Jahre belehrende Vorträge im Gymnasium. Emilie Schmitt steht dem Verein bis 1977 vor. Die Zahl ihrer Nachfolger ist bemerkenswert klein: Georg Steinle, Walther Pulch, Sibylle Ostertag, Susanne Friedl-Haarde – neben der steten Klage über Geld- und Publikumsmangel ein zweites bemerkenswertes Zeichen der Kontinuität.

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