Grünstadt Furcht vor Dreckwasser im Boden

186 Kilometer Abwasserkanäle gibt es in der ehemaligen Verbandsgemeinde Grünstadt-Land. Sie sollen in den nächsten Jahren mit Ka
186 Kilometer Abwasserkanäle gibt es in der ehemaligen Verbandsgemeinde Grünstadt-Land. Sie sollen in den nächsten Jahren mit Kameras (siehe Foto) befahren und danach saniert werden.

Schmutzwasserkanäle müssen alle zehn Jahre mit einer Kamera untersucht werden. Das ist in der Verbandsgemeinde Grünstadt-Land nicht passiert. In einigen Orten sind, so zeigt es eine Aufstellung der Verbandsgemeinde Leiningerland, die Leitungen zuletzt Ende der 1990er- Jahre untersucht worden, neuerliche Befahrungen sind also doppelt überfällig. So sind in Dirmstein 1997 zuletzt TV-Befahrungen gemacht worden, in Gerolsheim 1999, in Quirnheim und Mertesheim 2003 und in Obersülzen 2004. Heißt: Dirmstein wäre 2007 schon wieder an der Reihe gewesen, Quirnheim und Mertesheim 2013. Doch das, kritisiert Bürgermeister Frank Rüttger, sei nicht passiert: „Die Verbandsgemeindewerke Grünstadt-Land haben die gesetzlichen Vorgaben, die Kanalleitungen spätestens alle zehn Jahre mit einer Kamera zu befahren, nicht ausreichend vorgenommen.“ Bei den Befahrungen zeichnen Kameras auf, welche Schäden an den Kanalrohren aufgetreten sind – dann wird der Schaden klassifiziert und festgehalten, welches Teilstück sofort zu reparieren ist und welches warten kann. Allerdings hätten die damals erhobenen Daten heute ziemlich wenig Aussagekraft, argumentiert Rüttger: „Was damals noch Zeit hatte, muss heute mitgemacht werden.“ Sprich: Die kleinen Risse von 1997 oder 2004 könnten heute große sein. Rüttger kritisiert, dass nach den Befahrungen nicht ausreichend gehandelt worden sei: „Die Schäden wurden bislang nur in einem kleinen Umfang saniert.“ Hinzu komme, dass die Aufzeichnungen über die Reparaturen schlecht seien. „Es ist unklar, was gemacht wurde“, sagt Rüttger. Die Daten müssten mühsam zusammengetragen und Leitz-Ordner durchforstet werden, beispielsweise, um alte Rechnungen zu finden. Rüttger telefoniert mit Aufsicht und Staatsanwaltschaft Dass sich Rüttger nun sowohl an die Staatsanwaltschaft Frankenthal als auch an die Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd in Neustadt gewandt hat, liegt daran, dass er den Behörden die Verletzung der Fristen kundtun wollte. Schwerer wiegt für Rüttger aber die Befürchtung, aus den beschädigten Leitungen könnte Schmutzwasser ins Erdreich eingedrungen sein. Seine Argumentation: Wenn ein Rohr so beschädigt ist, dass Grundwasser eindringen kann, kann im Gegenzug auch Schmutzwasser austreten. Beim Zulauf zur Kläranlage Eistal-West bei Mertesheim sei beispielsweise ein Fremdwasseranteil (Grundwasser) von rund 40 Prozent festgestellt worden. Paragraf 324 im Strafgesetzbuch droht den Menschen eine Geld- oder Freiheitsstrafe an, die Böden oder Gewässer verunreinigen. Rüttger bezeichnet die Versäumnisse der Verbandsgemeindewerke Grünstadt-Land als Erblast: „Das sind keine Kavaliersdelikte, das hat Bedeutung. Ich will nicht in haftungsrechtliche Sachen reinkommen.“ Deswegen, sagt Rüttger, habe er sowohl mit der Staatsanwaltschaft als auch mit der Aufsichtsbehörde telefoniert. „Ich habe die Situation geschildert: dass die Fristen nicht eingehalten worden sind und dass bei den letzten Befahrungen Schäden festgestellt worden sind, die nur zu einem geringen Teil behoben wurden.“ Niederhöfer sagt: „Da waren wir schwach“ Reinhold Niederhöfer (SPD), der von 2010 bis 2017 Bürgermeister von Grünstadt-Land war und zuvor als Beigeordneter (ab 2002) und Werkleiter (ab 1988) für die Kanalrohre zuständig war, räumt ein, dass auf die TV-Befahrung der Schmutzwasserkanäle in der Vergangenheit nicht das Hauptaugenmerk gelegt worden sei: „Da waren wir schwach auf dem Gebiet.“ Die Prioritäten seien andere gewesen: Zuerst die Ertüchtigung der Kläranlagen und Becken, dann der Bau von Regenrückhaltebecken und Überfallschwellen und erst an dritter Stelle die Sanierung der Kanalrohre. „Ich habe es aus den Augen verloren“, sagt Niederhöfer über die Zeit nach 2010, als er zum Bürgermeister der Verbandsgemeinde gewählt worden ist. „Irgendwann haken Sie die Dinger ab und verlieren den Blick darauf.“ Schließlich habe ein Bürgermeister mehr zu tun, als auf Abwasserkanäle zu schauen, sagt Niederhöfer. Er habe sich auf diese Priorisierung und auf die Arbeit der Werkverwaltung verlassen. Werkleiter Normann Geisler hätte mit mehr Vehemenz darauf dringen müssen, dass diese Kanalbefahrungen zu machen sind, führt Niederhöfer aus. Gleichwohl streitet der ehemalige Bürgermeister seine Verantwortung nicht ab: „Ich habe mich nicht genug darum gekümmert. Ich hätte genauer hingucken müssen.“ Das alles sei nicht schön, aber es sei auch kein Weltuntergang. Werkleiter Geisler sagt: Politiker wussten Bescheid Normann Geisler – der schon in der Verbandsgemeinde Grünstadt-Land Werkleiter war und es heute im Leiningerland ist – sieht die Verantwortung bei der Politik. Er antwortet per E-Mail auf eine RHEINPFALZ-Anfrage: „Den politischen Entscheidungsträgern war die Erfordernis der Durchführung der Kanalsanierungen bekannt. In den politischen Gremien wurde die Umsetzung der Kanalsanierungen unter Abwägungen der Priorität hinter den Neubau von Regenüberlaufbecken in Bissersheim, Bockenheim, Dirmstein, Großkarlbach, Kirchheim, Kindenheim, Neuleiningen und Obersülzen sowie die Sanierung von mehreren Regenüberläufen und Pumpwerken gestellt. Die Abwicklung der erforderlichen Kanalsanierungen wurde seitens der Werkleitung den politischen Gremien kontinuierlich dargelegt.“ Wie geht es nun weiter mit den Kanälen? Die VG Grünstadt-Land hatte einen Kanal-Befahrungsplan für die kommenden Jahre. Noch im April werden in Kirchheim Kameras durch die Kanäle gejagt. Geht es nach Rüttger, müssen alle anderen recht bald folgen: „Jetzt ist es die Aufgabe, so schnell wie möglich alle Gemeinden zu befahren.“ Der Werkausschuss hat dem Verbandsgemeinderat bei seiner jüngsten Sitzung bei zwei Gegenstimmen von SPD-Seite empfohlen, die ausstehenden Befahrungen umgehend vorzunehmen. Es sei dringend erforderlich, Ingenieurbüros zu beauftragen, die die TV-Befahrung ausschreiben und die von Fachfirmen gewonnenen Daten auswerten. Diese Erkenntnisse sollen dann – gemeinsam mit den schon vorhandenen – die Grundlage für die Kanalsanierungen in den einzelnen Gemeinde darstellen. Rüttger rechnete dem Werkausschuss vor, dass rund 400.000 Euro alleine für die Ingenieurleistungen benötigt werden, die Befahrungen der Kanäle in der ehemaligen Verbandsgemeinde werde wohl zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro kosten. Woher kommt das Geld für die Befahrungen und Reparaturen? „Wir haben neun Millionen Euro Rücklage, so dass wir nicht an der Gebührenschraube drehen müssen“, so Rüttger über die VG-Werke Grünstadt-Land. Die Werke laufen laut Fusionsvertrag noch bis 2028 getrennt, für die Bewohner der Ex-Verbandsgemeinde Hettenleidelheim, wo die letzten Befahrungen 2006 und später gemacht wurden, wird das Ganze wohl gar keine Auswirkungen haben. Ob die Bürger der Ex-Verbandsgemeinde Grünstadt-Land langfristig mehr zahlen müssen, wird sich zeigen. Wie beurteilt die Staatsanwaltschaft das Ganze? Die Staatsanwaltschaft Frankenthal und die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) in Neustadt bestätigen auf RHEINPFALZ-Anfrage, dass sich Frank Rüttger an die Behörden gewandt hat. Der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber sagt: „Wir werden aufgrund der Information prüfen, ob ein Anfangsverdacht auf eine Straftat besteht.“ Ein abstrakter Verdacht, dass Schmutzwasser weggeflossen sein könnte, reiche nicht aus. Es müssten sich schon konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass das auch tatsächlich so ist. Auch bei der SGD wird dem Info-Gespräch keine so hohe Bedeutung beigemessen. „Im Moment besteht bei uns kein Handlungsbedarf“, sagt SGD-Sprecherin Nora Schweikert. Dies sei erst der Fall, wenn tatsächlich Bodenverunreinigungen vorlägen. Ansonsten sei es Sache der Verbandsgemeinde Leiningerland, das zu regeln.

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