Frankenthal Status: Mensch

Kerzen, Weihnachtslieder, Plätzchen, Kuchen und Geschenke: Im Gemeindehaus der Protestantischen Kirchengemeinde Mörsch war alles vorhanden, was man für eine Weihnachtsfeier braucht. Und dennoch war diese Feier ganz anders. Hannelore und Wolfgang Baumgart hatten Flüchtlinge aus dem Vorort eingeladen.

Und so feierten Familien unterschiedlicher Religion und Konfession mit den Baumgarts, Mitgliedern der Kirchengemeinde und Schülern des Karolinen-Gymnasiums (KG). Letztere hatten durch Aktionen an der Schule und mit Hilfe des Fördervereins 1400 Euro für die Flüchtlinge zusammenbekommen und von einem kleinen Teil des Geldes Geschenke für die Kinder zwischen eineinhalb und 14 Jahren gekauft. Der siebenjährige Semi* strahlte über das ganze Gesicht, als ihm einer der KG-Schüler ein großes Paket, eingewickelt in buntes Weihnachtsmann-Geschenkpapier, überreichte. Seine erste Frage: „Darf ich es jetzt schon aufmachen?“ Dem lebhaften kleinen Kerl war nicht anzumerken, welch harte Zeit hinter ihm und seiner Familie liegt. Fröhlich lachend spielte er mit den Oberstufenschülern „Schere, Stein, Papier“ und quasselte unbefangen und in erstaunlich gutem Deutsch mit Lehrerin Irina Kalusa, die die Aktion an ihrer Schule begleitet hatte. Seine Mutter Miriam* dagegen wird die Schrecken und Strapazen der Vergangenheit nie vergessen. Zusammen mit ihren vier Kindern (heute sieben, elf, 18 und 21 Jahre) ist sie vor mehr als zwei Jahren aus Syrien geflüchtet. Sie berichtet von Übergriffen von Milizen, von willkürlichen Erschießungen und einer zunehmenden Islamisierung. Als das Assad-Regime noch funktionierte, sei das Leben zwar nicht besonders gut gewesen, aber nun sei es unmöglich, in Syrien zu bleiben, sagt die Christin. Zuvor hätten Christen und Muslime friedlich miteinander gelebt, mit dem Vormarsch des IS lebten jetzt alle, auch die Muslime in Syrien in Angst. Und weil sie Freunde und Verwandte in Damaskus und Umgebung zurücklassen mussten, bittet sie dann auch, die Namen ihrer Familie nicht zu veröffentlichen, um die Zurückgebliebenen nicht zu gefährden. Nach einer fast zweijährigen, kräftezehrenden Flucht über die Türkei und Griechenland – mehr Details will Miriam nicht erzählen, das schafft sie nicht - lebt die Familie seit sechs Monaten in Deutschland. Der Vater ist wieder bei Frau und Kindern, allerdings lebt der älteste Sohn in Schweden. Der Rest der Familie darf ihn nicht besuchen. Wie Miriams Familie möchten auch Leila, Fariborz und Arya in Deutschland bleiben. Die drei Iraner sehen wie die Syrer längerfristig keine Perspektive für sich in der alten Heimat. Wie Miriam und Damir* sind auch Leila und Fariborz Akademiker und hochqualifiziert. Ihr Wunsch ist es, bald arbeiten zu dürfen, um sich eine Existenz aufbauen zu können. Obwohl sie erst seit knapp einem halben Jahr in Deutschland sind, hat ihr 17-jähriger Sohn Aryan fast akzentfrei Deutsch gelernt und geht jetzt in die zehnte Klasse des KG. Dass sie alle in Mörsch ein wenig heimisch geworden sind, haben sie auch dem unermüdlichen Einsatz Hannelore Baumgarts zu verdanken. Diese übt jeden Freitag Deutsch mit ihnen. Die Kirchengemeinde stellt ihr den Raum bereit, in dem sie ihr „Café“ anbietet, in dem die Flüchtlinge bei Selbstgebackenem die ersten Schritte in der fremden Sprache machen können. Hannelore Baumgart und ihr Mann organisieren Kleidung und Spielzeug, sammeln Geschirr, Bettwäsche und Handtücher für ihre Schützlinge. Pfarrer Christoph Braun betonte, dass in Mörsch Flüchtlinge willkommen seien und nicht, „wie in Dresden“, als Fremde abgelehnt würden. Private Spenden hätten es ermöglicht, dass jedes Flüchtlingskind einen Schulranzen samt Zubehör erhalte, wenn es eingeschult werde. Ortsvorsteher Adolf José König (SPD) fügte hinzu, der Vorort habe von Anfang an versucht, den Menschen zu helfen und ihnen ein wenig neue Heimat zu bieten. „Und als der Oberbürgermeister mir entgegnet hat, die Leute hier hätten doch noch keinen Status, da habe ich widersprochen. ,Doch, sie haben einen Status, den Status Mensch.′“ Die kleine Feier schloss mit einem Lied: dem Vaterunser auf Aramäisch, der Sprache Christi, gesungen von Miriam aus Syrien. Ein Lied, das keinen im Raum unberührt ließ, egal ob Christ oder nicht, Einheimischer oder Flüchtling. * .

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