Frankenthal Mit dem Lada in die Freiheit

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2011 erhielt Wolfgang Herrndorf für seinen Jugendroman „Tschick“ den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die leise, an den Abenteuern von „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ orientierte Geschichte eines gemeinsamen Sommers zweier sehr unterschiedlicher Jungen wurde schnell als Stoff für die Bühne entdeckt. Die Theaterfassung von Robert Koall eroberte die Spielpläne. Am Mannheimer Schnawwl hat das Jugendstück nun Marcelo Diaz inszeniert.

Mike erzählt in dieser Geschichte von der besten Zeit seines Lebens: die Sommerferien, in denen er mit Tschick in einem kurzgeschlossenen Lada über die Landesgrenze fährt und eine Freiheit erlebt, von der jeder andere 14-Jährige nur träumen kann. Während Mike im weißen Ledersofazweisitzer im elterlichen Haus mit Pool darüber grübelt, ob es besser ist einen blöden Spitznamen wie „Psycho“ zu haben oder gar keinen, toben seine Eltern streitend und Türen knallend durchs Haus. Mike, der zu dem Schluss gekommen ist, dass es Schlimmeres gibt als eine Alkoholikerin als Mutter und dass seine Eltern das Streiten wohl brauchen, bleibt von ihren Eskapaden unbeeindruckt. Viel wichtiger ist es ihm, von Tschick zu erzählen, mit dem ihn nach den gemeinsamen Sommerferien zwischen der achten und der neunten Klasse so viel verbindet. Cédric Pintarelli spielt am Schnawwl diesen Mike Klingenberg mit einer begeisterten und lebensnahen Naivität, die nicht aufgesetzt wirkt, sondern einem Jungen zwischen Kindheit und Erwachsenwerden mitten ins Herz blicken lässt. Die Schüchternheit gegenüber Tatjana Kosic, dem schönsten Mädchen der Welt, die unerreichbar scheint, obwohl sie in dieselbe Klasse geht, den Respekt vor dem autoritären Lehrer Wagenbach, die absurde Überlegung, schwul zu werden, weil das alle Probleme mit Mädchen lösen würde, und das lachende Abtauchen in den elterlichen Pool mit der alkoholisierten Mutter – all das scheint folgerichtig und ganz normal. Sein Gegenpart, der Deutschrusse Andrej Tschichatschow, genannt Tschick, kommt aus der Hochhaussiedlung und hat in vier Jahren die erstaunliche Karriere von der Förderschule zum Gymnasium geschafft, ohne deshalb sonderlich angepasst zu wirken. David Benito Garcia spielt ihn cool und reduziert und verleiht seinem Tschick damit eine interessante Lethargie. Handeln ist Tschicks Sache eher als sprechen, obwohl man ihn, mit herrlich russischdeutschem Akzent, so gerne reden hört. Es macht Spaß, den beiden jugendlichen Helden bei ihrer Fahrt in ihrem alten Lada zuzusehen, der hier bloß ein umgedrehtes Sofa ist, und man ist hingerissen von ihren absurdkomischen Reiseabenteuern. Das liegt zum einen an der Musik von Markus Reyhani, die mit mitreißend-melancholischen Balkan-Rhythmen die langsame Lada-Reisegeschwindigkeit erzeugt. Zum anderen liegt es am Spiel von Uwe Topmann und Isabelle Barth, die als Verwandlungskünstler für alle Nebenrollen, also die Begegnungen am Wegesrand sowie für Eltern, Lehrer und Richterin zuständig sind. Marcelo Diaz erspürt die tragische Komik und komische Tragik dieser Geschichte und inszeniert seine jugendlichen Helden in eine absurde Erwachsenenwelt hinein, in der Hilfsbereitschaft und Freundschaft genauso zu Hause sind wie Vernachlässigung und Egozentrik. Erfrischendes Theater für Menschen ab 14 Jahren. Termine und Karten Vorstellungen im Jugendtheater Schnawwl, Mannheim, ab 8. Oktober. Karten unter Telefon 0621 1680302.

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