Worms Max Giesinger live

Zum Anfassen: Max Giesinger badet in Worms in einem Meer von Fans.
Zum Anfassen: Max Giesinger badet in Worms in einem Meer von Fans.

Max Giesinger steht fast synonym für den deutschen Mainstream-Pop der Gegenwart. Am Freitag hat er bei Jazz & Joy in Worms Station gemacht - und gezeigt, dass er nicht nur Kuschel-Pop, sondern auch Hard Rock könnte. Wenn er wollte.

Max Giesinger hätte allen Grund gehabt, beleidigt zu sein. Der Fernsehsatiriker Jan Böhmermann hatte ihn damals ganz schön aufs Korn genommen, ihn und das, was Böhmermann da sarkastisch „die neuen deutschen Pop-Poeten“ nannte. Ein „Revival des Schlagers unter falscher Flagge“, ätzte Böhmermann über das Treiben von Giesinger und Kollegen. Ein Treiben, das einer Masche folge, die da heißt: „Gefühle abklappern, Trost spenden, Tiefe vorgaukeln, Millionen erreichen und verdienen und dabei immer schön unpolitisch und abwaschbar bleiben“. Der neue deutsche Pop sei „seelenlose Kommerz-Kacke“. „Industriemusik“ ohne jeden künstlerischen Anspruch. Musik vom Reißbrett. Belanglos und maximal austauschbar.

Um seine These zu untermauern, produzierten Böhmermann und sein Team 2017 den Song „Menschen Leben Tanzen Welt“. Der Clou: Der Text des Lieds bestand aus Kalendersprüchen, Werbeslogans, Zeilen zeitgenössischer Poptitel sowie Zitaten aus Influencer-Tweets. Fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo hatten angeblich die ihnen vorgelegten Text-Fragmente dann zufällig kombiniert, fertig war ein typischer deutscher Pop-Titel. Die Musikpresse jubelte, auch der „Stern“ sah in der Satire eine treffende Zustandsbeschreibung der deutschen Popmusik. Das Publikum goutierte den Gag ebenfalls: Zeitweise war Böhmermanns Abrechnung mit Giesinger und Co auf Platz eins der Charts.

DIY statt Reagenzglas

Der Beitrag, vor allem die vielen hasserfüllten Kommentare im Netz, die auf ihn folgten, hätten ihn damals getroffen, verriet Giesinger Jahre später in einem Interview mit „DB mobil“. „Ich wurde dargestellt als so eine Art Musiker aus dem Reagenzglas, der sich alle Songs schreiben lässt. Das entspricht natürlich nicht der Wahrheit. Außerdem: Wer meine Karriere verfolgt hat, weiß, dass ich jahrelang als Straßenmusiker unterwegs war und nach einigen Absagen von Majorlabels alles selbst in die Hand genommen habe.“ Do it yourself statt Reagenzglas.

In dem Interview verriet er auch, dass er sich nach dem TV-Beitrag gefühlt habe wie zu Schulzeiten, in denen er gemobbt worden sei: „Die ,Coolen’ belächelten mich. Ich war verunsichert, wenn mich Leute auf der Straße freundlich angeguckt haben, ich wusste nicht mehr: Lächeln die mich gerade an, oder lachen die über mich? Heute ist es mir zum Glück nicht mehr so wichtig, was die Leute über mich denken.“

Den Schmerz ließ er sich seinerzeit nicht anmerken. Giesinger reagierte nach außen souverän. Von dem Beitrag selbst habe er sich unterhalten gefühlt, tat er kund, später trat er in Böhmermanns Sendung auf, stand sogar mit ihm auf der Bühne, um „Menschen Leben Tanzen Welt“ zu performen. Da zeigte einer, dass er über sich selbst lachen kann, dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt. Diese Fähigkeit zur Selbstironie machte ihn dann auch jenen Leuten sympathisch, die sein Schaffen bis dahin ablehnten. Gelungenes Krisen-Management nennt man so etwas.

Nahbarer Star

Und vielleicht war es ja eben dieser Moment der Krise, der Umgang mit ihr, dass Giesinger auch nach mehr als zehn Jahren im Pop-Geschäft, in dem die meisten Künstler normalerweise eher eine kurze Halbwertszeit haben, immer noch da ist, immer noch erfolgreich ist. Giesinger zieht immer noch. Das merkte man auch in Worms. Der Platz vor dem Rathaus war am Freitagabend gut gefüllt, das Publikum bunt gemischt, Jung feierte hier neben alt, Männlein neben Weiblein. Auf Giesinger können sich offensichtlich viele einigen. „Ich bin jetzt zum dritten Mal in Worms, beim ersten Mal haben wir vor 30 Zuschauern gespielt“, erinnerte sich Giesinger und grinste breit.

Während des Konzerts gab sich der Musiker aus Waldbronn, der mittlerweile in Hamburg lebt, nahbar. Immer wieder zog es ihn ins Publikum, immer wieder wechselte er zwischen zwei Bühnen und bahnte sich dabei seinen Weg durchs Volk. Den Fans gefiel’s, es ist diese Nahbarkeit, die sie an Giesinger schätzen, an dem Mann stößt man sich nicht.

„Das Wunder sind wir“

Natürlich ist die Musik Giesingers nah am Schlager, es ist Deutsch-Pop, der auf der Grenze surft. Musik, glatt geschliffen, fürs Radio gemacht. Musik, die nicht anstrengt, weil sie nicht überfordern soll. Die Angst vor der Phrase ist Giesinger fremd. „Das Wunder sind wir“. „Irgendwann ist Jetzt“. Menschen Singen Tanzen Worms.

Giesinger ritt mit dem Publikum quer durch seinen Backkatalog, natürlich hatte er auch die großen Hits dabei, „Wenn sie tanzt“ und klar, „80 Millionen“ (im Zugabenteil, hier gab es ganz klar den größten Jubel während der rund 1 Stunde 45 Minuten dauernden Show). Am stärksten war er aber bei den unwahrscheinlichsten Songs. Beim sogenannten Random-Karaoke-Teil, bei dem Zuschauer aus einem Jutesack blind Zettelchen mit Songnamen darauf ziehen durften, die Giesinger und Band dann spontan spielten. „Girls Just Wanna Have Fun“ von Cyndi Lauper war dabei, „Highway To Hell“ von AC/DC, Giesinger, der frühere Straßenmusiker, überzeugte, wirkte fast, als sei er mal von der Leine gelassen worden. Eine gute Stimme hat der Mann ja, er weiß sie auch in ihm eher fremden Genres einzusetzen. Spätestens da wurde klar: Der Mann kann, er müsste nur den Mut haben, seiner Musik mehr Soll-Bruchstellen einzubauen.

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